Asperger Diagnostik

Beim Asperger-Syndrom liegt häufig auch ein ADS oder AD(H)S vor, was die Diagnostik erheblich erschwert, da die Symptomatik beider Störungen viele Ähnlichkeiten aufweisen. Die vorhandene Hyperaktivität muss allerdings nicht zwingend den Rückschluss auf AD(H)S zulassen, da es auch beim Asperger-Syndrom zu Hyperaktivität kommen kann, die durch ein hohes Stresslevel oder einfach durch Angst ausgelöst wird. So ist es von enormer Bedeutung, die Faktoren, die zu der extremen Unruhe führen, näher zu betrachten, bevor eine Diagnose gestellt wird.

Unter hohem Druck können sich auch Tics entwickeln, um so die innere Anspannung zu vermindern, die durch eine stressige Situation ausgelöst wurde.  

Mit dem Besuch eines Kindergartens beginnt für die Kinder auch die gemeinschaftliche Aktivität, die die Grundlage des gesellschaftlichen Miteinanders darstellt, während Kinder, ohne autistischen Hintergrund Sozialverhalten nicht üben und trainieren müssen, ist dies bei autistischen Kindern anders. So kommt es mit Eintritt in den Kindergarten nicht selten zu ersten Auffälligkeiten, die auf dem Wege der Abklärung oft zu der Diagnose ADS oder AD(H)S führt.Wer ein Kind mit „normalen“ Fähigkeiten, fließender Sprache und eventuell noch sehr guten Kenntnissen auf speziellen Gebieten, vor sich hat, denkt zunächst nicht an Autismus.

Es ist auffällig in seinem sozial ungeschickten Auftreten, es ist vielleicht etwas impulsiv oder aber total zurückgezogen, es hat keine gleichaltrigen Freunde, lebt am Rande der Gemeinschaft. Einige dieser Kinder zeigen sich auch gar nicht Interessiert an Freundschaften und sind mit sich und ihren speziellen Interessen glücklich, andere wiederum wollen gerne Freunde haben, haben aber eine völlig andere Vorstellung von dem, was Freundschaft heißt. Im täglichen Umgang sind diese Kinder schwierig, ohne dass man erkennen kann, warum das so ist. Einige dieser Kinder sind hochbegabt auf speziellen Gebieten und trotzdem stimmt etwas Fundamentales nicht.

Bis Eltern dieser Kinder herausgefunden haben, was dieses fundamentale Etwas ist und das es sich hierbei um Autismus handeln könnte, vergehen oft viele Jahre und die meisten Kinder haben bis dahin eine Odyssee von Arzt- und Therapieterminen hinter sich.Die Kernsymptome für Autismus sind also auch beim Asperger Syndrom alle vorhanden, allerdings sind sie nicht so stark ausgeprägt, wie bei Kindern mit Kanner-Syndrom. Das bedeutet aber nicht, dass die Beeinträchtigungen geringfügig oder unbedeutend sind. Aufgrund ihrer veränderten Wahrnehmung sind autistische Kinder in allen Lebensbereichen beeinträchtigt, das gilt auch für Kinder mit Asperger-Syndrom. Sie aber gehen häufig unerkannt in ganz normale Schulen, wo von ihnen auch "ganz normales" Benehmen erwartet wird. Und spätestens hier fallen sie vor allem durch ihr merkwürdiges Sozialverhalten auf.

Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit dem Asperger-Syndrom weisen keine körperlichen Merkmale auf, die darauf hinweisen könnten, dass sie anders sind. Durch die kognitive Leistungsfähigkeit, wird automatisch der Rückschluss auf eine hohe soziale Kompetenz erstellt. Dies führt zu entsprechenden Erwartungen der Umwelt innerhalb der sozialen Interaktion und setzt den autistischen Menschen sehr unter Druck.  

Eine Diagnosestellung kann eine große Erleichterung darstellen, Kompensations- und Anpassungsstrategien können reduziert und eingestellt werden. Auch die Einschätzung einer Person durch die Menschen der Umwelt wird unter anderen Voraussetzungen vollzogen, wenn die Diagnose bekannt ist. Es ist für viele Menschen befremdlich, jemanden zu treffen, der zum Beispiel Schwierigkeiten damit hat, den Blickkontakt zu halten. Die Interaktionen werden vereinfacht, weil der autistische Mensch nicht mehr so unter Druck steht, den Normen entsprechen zu müssen, und dabei selber nicht zu wissen, warum er dies bisher nicht konnte. Alle Versuche möglichst so zu sein, wie die „Normalen“ können unter anderen Gesichtspunkten betrachtet werden, klar wird dabei, dass die Rahmenbedingungen anders sein müssen, nicht aber der Mensch selber. So kann er auch eigene Leistungen anders bewerten und muss sich nicht (mehr) minderwertig fühlen.

Im Hinblick darauf, andere Menschen treffen zu können, die auch das Asperger-Syndrom haben, wird der Vorteil einer Diagnose schnell klar, da hier eine nie gekannte Identifizierung mit anderen Menschen stattfindet, das hat positive Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl. Auf Menschen zu treffen, die eine ähnliche Denkstruktur haben, gegenseitige Empathie zu finden und  einer Gruppe von Menschen anzugehören mit ähnlichen Erfahrungen, Denkweisen und einer gleichartigen Sicht auf die Welt, ist vielen bis zu dem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen, sie haben sich vielmehr immer als Fremdkörper empfunden, ohne die Ursache dafür zu kennen und dies typischerweise auf sich selbst bezogen, da es wohl kaum möglich ist, dass die komplette Welt anders ist, wenn doch alle anderen so scheinbar gut zurechtkommen. Die Diagnose führt auch dazu, dass der autistische Mensch beginnt sich selber zu verstehen, er findet viele Antworten auf Fragen, die ihn aufgrund negativer Erfahrungen, schon lange belastet haben mögen. Er lernt, sich selber viele dieser Fragen selber beantworten zu können und mit den verschiedenen Themen auch Frieden schließen zu können, weil er sich selber endlich annehmen kann.

Warum ist die Diagnose bei Mädchen oft schwieriger?

(Aus Tony Attwood: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom, S 59-61)

Die Mehrheit der Kinder, die zur diagnostischen Klärung des Asperger-Syndroms überwiesen werden, sind Jungen. Eine Analyse von über 1.000 diagnostischen Beurteilungen der letzten 12 Jahre führte zu einer Verteilung männlich zu weiblich von 4:1.

Mädchen mit Asperger-Syndrom sind nach klinischen Erfahrungen schwieriger zu erkennen und zu diagnostizieren, weil sie Mechanismen zur Bewältigung und zur Überspielung des Asperger-Syndroms entwickeln, was allerdings auch bei einigen Jungen der Fall sein kann.

Einer dieser Bewältigungsmechanismen ist es zu lernen, wie man sich in einer sozialen Umgebung verhält.  Liane Holliday Willey beschreibt dies in ihrer Autobiografie:“Ich bin Autistin, aber ich zeige es nicht“

Der Diagnostiker sieht dann jemanden, der scheinbar in der Lage ist, ein wechselseitiges Gespräch zu führen und angemessene Gefühle und Gesten während der Unterhaltung zu zeigen. Würde man aber weiter nachforschen, wie diese Person sich in anderen Situationen verhält, zum Beispiel in der Schule oder in anderen unbekannten sozialen Situationen, käme man zu dem Ergebnis, dass das Kind eine soziale Rolle und ein „Skript“ übernimmt: Es gleicht seine Persönlichkeit den Merkmalen einer anderen Person an, die in einer solchen Situation normalerweise gut soziale Fähigkeiten beweist, wobei eher die intellektuellen Fähigkeiten und weniger die Intuition genutzt werden, um zu bestimmen, was man sagen oder tun soll. Viele Mädchen beherrschen Tarnstrategien, eine solche Tarnstrategie kann es zum Beispiel sein, die eigene Verwirrung beim Spielen mit Gleichaltrigen dadurch zu überdecken, in dem Angebote, sich zu beteiligen, höflich abgelehnt werden, bis man sicher ist, wie man sich zu verhalten hat, um nicht aufzufallen. Die Strategie besteht darin zu warten, genau zu beobachten und sich nur zu beteiligen, wenn man genau weiß, was zu tun ist, indem man das imitiert, was die anderen Kinder zuvor getan haben. Wenn aber die Spielregeln oder die Art des Spiels sich plötzlich ändern, ist das Kind ratlos. Mädchen können dabei die Fähigkeit entwickeln, in einer großen Gruppe zu „verschwinden“ und sich nur am Rande der sozialen Interaktion zu bewegen. Eine Frau mit Asperger-Syndrom sagte einmal, dass sie sich fühlte, als würde sie „von außen zuschauen“.

Es gibt noch andere Strategien zur Vermeidung aktiver Teilnahme an sozialen Interaktionen, etwa sich besonders gut erzogen und höflich zu benehmen und dadurch nicht aufzufallen, oder es werden passive Taktiken zur Vermeidung von Mitarbeit und sozialer Teilhabe genutzt, wie sie für eine andere Störung beschrieben werden (PDA = Pathologische Vermeidung von Anforderungen)

Die Themen der Spezialinteressen sind häuft „mädchentypisch“. Das sprachliche und kognitive Profil von Mädchen mit dem Asperger-Syndrom ist dasselbe wie das von Jungen, doch die Spezialinteressen sind meist weniger exzentrisch. Hier fällt nur die extreme Ausprägung ins Auge. Für Mädchen ist es nicht ungewöhnlich, sich mit Pferden zu beschäftigen, allerdings kann es sein, dass das Asperger-Mädchen seine Matratze in den Stall legt, damit es an der Seite des Pferdes schlafen kann.

Asperger-Mädchen referieren wie kleine Philosophinnen, während man bei einem Gespräch mit einem Asperger-Jungen, den Eindruck gewinnen kann, mit einem kleinen Professor zu reden, der ein Vokabular verwendet, dass seinem Alter weit voraus ist, und der viele interessante (oder auch langweilige) Fakten referiert. Mädchen mit dem Asperger-Syndrom können sich dagegen wie kleine Philosophinnen anhören, die tiefe Einsichten über soziale Situationen haben. Bereits in jungen Jahren verwenden Asperger-Mädchen ihre kognitiven Fähigkeiten, um soziale Interaktionen zu analysieren und sie werden eher als Jungen über die Widersprüche in sozialen Konventionen und über ihre eigenen Gedanken über soziale Ereignisse reden.

Wenn also ein Mädchen die Fähigkeit entwickelt hat, ihre Symptome des Asperger-Syndroms auf dem Schulhof, zu Hause und sogar während der diagnostischen Beurteilung selbst zu verstecken, dann wird es Eltern, Lehrern und Spezialisten schwerfallen, dennoch Symptome des Asperger-Syndroms wahrzunehmen.

Oft suchen Asperger-Mädchen erst im Erwachsenenalter die Diagnose, das Verhältnis zwischen Männer und Frauen beträgt nahezu 2:1.

Weiterführende Informationen:

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