ADHS und Beziehungen

Ich möchte Ihnen noch eine Geschichte erzählen, die zweier Eheleute, die bei mir an einer Paarmediation teilgenommen haben. Ich lernte die Ehefrau in einem Forum kennen, und wir unterhielten uns über ADS im Allgemeinen. Sie war der klassische Hypo-Typ und hatte in ihrer Kindheit viele Dinge erlebt, die sie nur schwer bis gar nicht verarbeit hatte. Durch die Hypoaktivität hat sie im Grunde alles in sich hineingefressen und war nicht in der Lage, über Ihre Probleme und Ängste zu sprechen.

Sie erzählte mir, dass Ihre Ehe sehr darunter leiden würde und sie das Gefühl habe, dass eigentlich alles am Ende sei, dass sie nicht mehr die Kraft habe, sich ihrem Mann zu erklären. Es ginge nicht, da er sie nicht verstehen könne.
Die beiden besuchten mich für einige Tage, und ich lernte sie sehr angespannt kennen. Beide zeigten eine sehr oppositionelle Haltung, und alle Gespräche waren sehr aggressiv belastet. Keiner ließ den anderen ausreden. Ich hatte den Eindruck eines knallharten, emotional geladenen Machtkampfes. Ich musste die beiden am ersten Abend mehrfach bremsen, da auch der Ton und die Lautstärke immer mehr zunahmen.
Der Streit zwischen den Eheleuten war unterschwellig schon lange vorhanden und hatte bei beiden tiefe Wunden hinterlassen. Auch hier entdeckte ich wieder den Unterschied zwischen Hypo und Hypie. Ich mochte dem Ehemann kein AD(H)S unterstellen, aber wegzudenken war dies nicht. Am ersten Abend ging es erst einmal darum, dass wir uns alle kennen lernten, um am nächsten Tag mit der Mediation beginnen zu können.

Ich gab beiden die Aufgabe einmal aufzuschreiben, was sie an ihrem Partner nicht mehr ertragen können. Beide gaben gleiche Gründe an, die im Widerspruch zueinander standen. Sie hatten beide das Gefühl, der eine nähme den anderen nicht ernst, und es würde keinen Respekt mehr geben. Die Kernaussage war hier: „Keiner lässt dem anderen die eigene Meinung und zwingt dem anderen seine Meinung auf.“

Der Ehemann war ein sehr rationaler Mensch, der erst einmal alles in Frage stellte und sich seine Gefühle eher logisch erklärte. Er war extrovertiert und hatte die Eigenschaft, nach einem Streit gleich alles zu vergessen, eine Darstellung die man von vielen Hypies hört: „Ich lass’ Dampf ab, und dann ist es gut“. Die Ehefrau, klar hypoaktiv, war sehr introvertiert und sprach so gut wie gar nicht über Ihre Emotionen.

Das Missverständnis, welches hier wieder vorlag, war, dass beide von sich auf den anderen schlossen und nicht wussten, dass sie im Grunde unterschiedlich funktionierten, aber dasselbe wollten.

Der Ehemann betrachtete das Verhalten seiner Ehefrau als Abwertung. Er war der Typ Mann, der sagte, er wolle jeden Streit und jedes Problem sofort und auf der Stelle klären (hyperaktiv), und sie war eine Person, die Zeit brauchte, um Gedanken und Emotionen zu verarbeiten (hypoaktiv). Ich versuchte beiden klar zu machen, dass im Grunde keiner von beiden dem anderen etwas Böses zufügen wolle, dass jeder nur auf seine Art versuche, dem anderen seinen Standpunkt klar zu machen.

Ich erklärte dem Mann die Hypoaktivität seiner Frau mit dem Beispiel, dass er sich einfach vorstellen solle, dass nach so einem Streit in Bauch und Kopf seiner Frau eine Millionen Wespen hin und her fliegen, ohne ein Ziel zu haben. Für sie fühle sich das in etwas so an, als wenn jede Wespe ein Gedanken oder auch eine Emotion sei, die sie nicht greifen könne und wenn doch, wisse sie nicht, ob es der/die richtige sei. Sie sei schlicht und einfach mit der Situation überfordert, was auch massiv mit den Erfahrungen Ihrer Kindheit zu tun hätte.

Ich erklärte dem Mann, dass er der Schnellere von beiden sei, und dass er derjenige sei, der Rücksicht auf seine Ehefrau nehmen müsse. Dies war eine sehr interessante Erfahrung für den Ehemann, da er seine Frau nie so betrachtet hatte.

Dieser Umstand weckte ein Umdenken bei beiden Eheleuten, und wir überlegten, welche Lösungen wir finden könnten, damit sich in der Kommunikation keine Aggressionen mehr manifestieren können. Wir beschlossen, dass die beiden ein gemeinsames Tagebuch führen würden, ein Buch in dem alles erlaubt sei, in dem Verletzungen, Missverständnisse, Wünsche, Grüße, Fragen, Erklärungen usw. aufgeführt werden sollten, die beide dann zu gegebenem Anlass lesen und Antworten darauf schreiben könnten, ein jeder je nach seiner ihm eigenen Schnelligkeit.

Das Buch hatte gewisse Regeln, z.B. das es als neutral anzusehen sei, und dass das, was dort niedergeschrieben würde, die Meinung und Emotion des anderen darstelle und auch so zu respektieren sei. Es könne sein, dass der Partner das anders betrachten würde, aber beide hätten diese Zeilen zu respektieren. Wir beschlossen auch, dass beide bei Äußerungen, die unter emotionalem Einfluss geschrieben worden wären, die Möglichkeit hätten, diese am nächsten Tag zu kommentieren und gegebenenfalls zu revidieren.  

Dies lässt im Umkehrschluss erkennen, welche Maßnahmen nötig sind, um unsere Gesellschaft darüber aufzuklären, wer wir sind und welche Probleme durch AD(H)S in allen Lebensbereichen entstehen. Als von AD(H)S betroffener Mensch ist mir bewusst, welche Probleme gerade in Familien vorherrschen, das Ganze gepaart mit Vorwürfen an die Eltern, sie würden Ihre Kinder falsch erziehen, was mit Sicherheit in dieser Darstellung nicht stimmt.

Wenn ich an meine eigene Mutter denke, sehe ich eine Mutter, die mit allen Mitteln für mich gekämpft hat, aber aufgrund ihrer Unwissenheit gar nicht in der Lage war, anders zu handeln. Ich könnte Ihnen noch 1000 andere Beispiele nennen, die eventuell für ein Fehlverhalten in der Kommunikation sprechen, aber das würde den Rahmen sprengen. Was ich Ihnen aber mit diesen Beispielen näher bringen möchte, ist die Aufgabe, einmal über Ihre eigene Kommunikation nachzudenken und vielleicht selbst zu beobachten, inwieweit Sie von sich auf Ihren Partner oder ihr Kind Ihre eigenen Reaktionen projizieren und vielleicht deswegen auch gewissen Kommunikationsfehlern unterliegen.