ADHS und Emotionale Intelligenz

Wir wissen, dass jeder sein AD(H)S subjektiv anders empfindet. Immer spielen die äußeren Umstände eine tragende Rolle in der Entwicklung eines AD(H)Slers. Stimmen die Umstände und das Verständnis der Familie und der Bezugspersonen, kann ein AD(H)Sler oft sehr gut mit seiner Verhaltensweise umgehen und daran reifen. Eines ist wohl bei allen Betroffenen gleichermaßen vorhanden: eine sehr stark ausgeprägte Sensibilität, die ich an dieser Stelle mit der Definition „Emotionale Intelligenz“ beschreiben möchte.

Daniel Goleman prägte mit seinem Buch "Emotionale Intelligenz" einen völlig neuen Begriff. Plötzlich schien neben dem "IQ" auch noch der "EQ" (Emotionaler Quotient) eine Rolle zu spielen - ja mehr noch: Man fand heraus, dass Menschen über ganz verschiedene Intelligenzen verfügen.

Lange Zeit galt der Intelligenzquotient (IQ) als der Maßstab für Erfolg. Nach neuesten Erkenntnissen ist aber die emotionale Intelligenz - der EQ - eines Menschen viel ausschlaggebender für seinen persönlichen und beruflichen Erfolg als der IQ. Mit emotionaler Intelligenz werden eine ganze Reihe von Fähigkeiten und Kompetenzen beschrieben, wie z.B. Mitgefühl, Kommunikationsfähigkeit, Menschlichkeit, Takt, Höflichkeit u.ä. Johann Wolfgang von Goethe sprach von "Herzensbildung".

Das besondere an der emotionalen Intelligenz ist, dass es dabei sowohl um den Umgang mit sich selbst geht, als auch um den mit anderen Menschen. Emotionale Intelligenz beschreibt also das Selbstmanagement und die Selbsterfahrung auf der einen Seite und Kompetenzen und Fähigkeiten im Umgang mit anderen Menschen auf der anderen.

Elemente der emotionalen Intelligenz

FÜR DIE EMOTIONALE INTELLIGENZ SIND VOR ALLEM FOLGENDEN KOMPETENZEN ENTSCHEIDEND:

Selbstbewusstheit - Gemeint ist die realistische Einschätzung der eigenen Persönlichkeit, also das Erkennen und Verstehen der eigenen Gefühle, Bedürfnisse, Motive und Ziele, aber auch das Bewusstsein über die persönlichen Stärken und Schwächen. Es geht darum, sich selbst gut zu kennen, um einschätzen zu können, wie man selbst in bestimmten Situationen reagiert, was man braucht und wo man noch an sich selbst arbeiten muss.

Selbststeuerung - Als Selbststeuerung wird die Fähigkeit bezeichnet, die eigenen Gefühle und Stimmungen durch einen inneren Dialog zu beeinflussen und zu steuern. Mit dieser Fähigkeit sind wir unseren Gefühlen nicht mehr nur einfach ausgeliefert, sondern können sie konstruktiv beeinflussen. Ein Beispiel: Wenn uns etwas wütend macht, können wir uns durch unseren inneren Dialog selbst beruhigen und können dann viel angemessener reagieren, als wenn wir nicht in Lage sind, uns selbst zu steuern.

Motivation - Sich selbst motivieren zu können heißt, immer wieder Leistungsbereitschaft und Begeisterungsfähigkeit aus sich selbst heraus entwickeln zu können. Diese Fähigkeit ist besonders hilfreich in Phasen, in denen ein Projekt schwierig wird oder wenn die Dinge anders laufen als geplant. Wer sich selbst motivieren kann, findet immer wieder Kraft zum Weitermachen und verfügt auch über eine höhere Frustrationstoleranz, also dem Vermögen, Frust auszuhalten und trotzdem weiterzumachen.

Empathie - Empathie heißt Einfühlungsvermögen. Gemeint ist damit das Vermögen, sich in die Gefühle und Sichtweisen anderer Menschen hineinversetzen zu können und angemessen darauf zu reagieren. Es geht darum, Mitmenschen in ihrem Sein wahrzunehmen und zu akzeptieren. Dabei heißt akzeptieren nicht automatisch gutheißen. Andere Menschen zu akzeptieren, heißt ihnen mit Respekt entgegenzutreten und Verständnis für ihr Tun und Denken zu haben.

Soziale Kompetenz - Unter sozialer Kompetenz versteht man z.B. die Fähigkeit Kontakte und Beziehungen zu anderen Menschen zu knüpfen und solche Beziehungen auch dauerhaft aufrechterhalten zu können. Gemeint ist also ein gutes Beziehungs- und Konfliktmanagement, aber auch Führungsqualitäten oder das Vermögen, funktionierende Teams zu bilden und zu leiten.

Kommunikationsfähigkeit - Eine gute Kommunikationsfähigkeit ist unerlässlich für die emotionale Intelligenz. Gemeint sind damit zwei Dinge: einerseits die Fähigkeit, sich klar und verständlich auszudrücken und somit sein Anliegen deutlich und transparent zu übermitteln; andererseits ist damit die Fähigkeit gemeint, anderen Menschen aktiv und aufmerksam zuhören zu können, und das, was sie sagen, zu verstehen und einzuordnen.

Bei AD(H)Slern ist die emotionale Intelligenz anlagemäßig extrem ausgeprägt aber auch gestört. Sie kann oft nicht eingesetzt werden, zum einen durch die Konzentrationsschwäche und durch Verletzungen in der Vergangenheit, die die Betroffenen daran hindert, ihrem Gegenüber richtig zuzuhören, zu vertrauen und zu glauben, dass sie verstanden werden, zum anderen durch die Tatsache sich in Problemsituationen nicht mitzuteilen zu können. Das löst eine innere Zerrissenheit aus, die den Betroffenen dann zu oft impulsiven Handlungen veranlasst, die von seinem Umfeld nur schwer nachvollzogen werden können. SELBSTSCHUTZ

Kein AD(H)Sler kommt mit Depressionen oder anderen Komorbiditäten auf die Welt. Alle Probleme und Krankheitsbilder entwickeln sich im Laufe des Lebens eines jeden Betroffenen. Das heißt, dass ADS/ADHS keine Krankheit ist, sondern eine nicht berücksichtigte emotionale Intelligenz, die sich mit aller Macht (Impulsivität, Aggressionen, Selbstzweifel, Depressionen und andere Kormobiditäten) ein Ventil sucht, welches den AD(H)Sler schlussendlich krank machen kann.

Dies soll nicht als Erklärung oder Entschuldigung dienen. Aber würde man berücksichtigen, dass bei einem AD(H)Sler die emotionale Intelligenz höher, ausgeprägter oder auch empfindlicher als bei nicht Betroffenen ist, dann wäre hier sicher ein Schlüssel verborgen, der zu Erleichterung der AD(H)S-Symptome beitragen könnte.