ADHS und Kommunikation

Durch meine Arbeit als Mediator habe ich vor einiger Zeit einen Vater kennen gelernt. Er war der klassische Hypie und hatte eine 14-jährige Tochter, die hypoaktiv war. Er rief mich damals an und berichtet mir, dass die Kommunikation mit seiner Tochter nicht mehr zu ertragen sei. Es gäbe täglich Streit, und es sei unmöglich, ein vernünftiges Gespräch zu führen. Ich besuchte die beiden und hörte zu Beginn bei den Gesprächen einfach nur zu. Nach einiger Zeit unterbrach ich Vater und Tochter und machte den Vorschlag, mit jedem ein Einzelgespräch zu führen.

 

Zuerst sprach ich mit der Tochter. Ich fragte sie, was sie an Ihrem Vater denn so nerven würde. Sie antwortete, dass er immer, wenn Sie etwas erzählen wolle, sofort Zwischenfragen stelle, was sie dann veranlasse, sofort dicht zu machen, da sie nicht mehr in der Lage war, , dem Gespräch zu folgen. Er würde dann einen Monolog halten und mit Gesten und Mimik weiteren Druck auf sie ausüben, was sie hoffnungslos überfordere. Sie sagte im Anschluss, dass sie ihren Vater liebe, aber er sie unsagbar nerve. Danach sprach ich mit dem Vater und stellte Ihm die gleiche Frage wie zuvor der Tochter. Es kam die Antwort, mit der ich gerechnet hatte. Eine Unterhaltung mit der Tochter sei so mühsam. Er müsse ihr jedes Wort aus der Nase ziehen und viel Fragen blieben vollkommen unbeantwortet. Das sei nervig. Ich fand diese Äußerungen sehr interessant. Das war aus meiner Sicht das klassische Kommunikationsmuster zwischen Hypie und Hypo.  Wir setzten uns nun gemeinsam an einen Tisch, und ich erklärte beiden, wie ich die Sache sah. Anhand eines Beispiels versuchte ich zu beschreiben, was das „Dichtmachen“ auslöste.

„Die Fehler eurer Kommunikation sitzen mittlerweile so tief verankert durch die ständigen Wiederholungen, dass nur eine Geste oder ein Tonfall ausreicht, um ein „triggerähnliches“ Empfinden auszulösen. Die Geste kommt und wird als Vorzeichen für die bekannten Streitigkeiten empfunden. Das ist der Grund, warum ihr beide in der Kommunikation dicht macht.“

Ich sagte dem Vater, dass er als Hypie in seiner Verhaltensweise viel schneller sei als seine Tochter und seine Tochter als Hypo im Gegensatz dazu langsamer.

Beide fassten sich an den Kopf und sagten: „Na klar, dass ist es.“ Wir überlegten dann gemeinsam, was zu tun sei und vereinbarten einen Kommunikationsvertrag, der beiden gewisse Freiheiten, aber auch Grenzen aufzeigen sollte. Es wurde ein Codewort ausgemacht für den Fall, dass sich einer der beiden beengt oder bedrängt fühlen sollte.  Ich glaube, sie wählten das Wort „Kühlschrank“.

Wir vereinbarten auch, wie die Kommunikation bei wichtigen Themen abzulaufen habe. Unterhaltungen hatten in Zukunft etwas von einem Ritual. Wenn wichtige Themen anstanden, trafen sich beide in der Küche. Sie machten sich vorher Tee und schufen so eine entspannte Atmosphäre. Jeder hatte einen Block und einen Stift dabei, die wichtige Instrumente der Kommunikation wurden. Solange die Tochter etwas erzählen wollte, durfte er keine Zwischenfragen stellen. Er musste alle Fragen,  die ihm in den Sinn kamen, erst einmal  aufschreiben und sie erst dann stellen, wenn die Tochter mit ihrer Erzählung fertig war.

Umgekehrt verlief es ähnlich. Auch die Tochter musste zuerst zuhören, durfte aber nach dem Monolog des Vaters den Raum für 10 Minuten verlassen und konnte sich anhand der Notizen, die sie sich während des Gesprächs gemacht hatte, erst einmal Gedanken über die Antwort machen.

Der Vater rief mich am gleichen Abend noch an und erzählte voller Euphorie, wie das erste Gespräch verlaufen sei. Er berichtete, dass er das erste Mal keine Fragen zu stellen brauchte, weil er seiner Tochter einfach nur zugehört hatte. Alle Fragen, die er sich aufgeschrieben hatte, wurden im anschließenden Gespräch beantwortet, und umgekehrt sei es ebenso befriedigend gelaufen. Beide hatten sie genug Zeit und Ruhe, um alle gestellten Fragen vernünftig zu beantworten.

Er erzählte mir noch, dass sie nun gemeinsam ins Kino gehen und sich beide wirklich besser verstehen würden.

Dieses Beispiel macht die missverständliche Kommunikation aufgrund von Unwissen über die andere Person deutlich.