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Komorbiditäten Einleitung
Komorbiditäten bezeichnet das gleichzeitige Vorkommen von mehreren diagnostisch unterschiedlichen und eigenständigen Krankheits- oder Störungsbildern bei einem Patienten. Dabei müssen diese nicht unbedingt in einem ursächlich gemeinsamen Zusammenhang stehen. So kann zum Beispiel ein AD(H)S-Patient zusätzlich an Tic-Störungen, Tourette-Syndrom, Epilepsie oder Zwangsstörungen leiden, ohne dass ein eindeutiger Zusammenhang zum AD(H)S bestehen muss. Außerdem kann er zusätzlich an Depressionen oder Angststörungen erkranken, ohne dass dies durch ein AD(H)S bedingt ist. In diesem Fall besteht für diese Erkrankungen eine gesonderte Prädisposition, d. h. für den Patienten besteht ein erhöhtes Risiko solche Störungen gesondert zu entwickeln.
Narzissmus
Selbstverliebtheit – Selbstbezogenheit – Selbstbewunderung – Egoismus Narzisstische Wesenszüge (überhöhte Anspruchshaltung, unkritische Selbsteinschätzung, ausnützerische und egoistische Einstellung, Neid und Überheblichkeit) nehmen offenbar zu in unserer Zeit und Gesellschaft. Noch folgenschwerer wird es dann, wenn es sich um eine narzisstische Persönlichkeitsstörung handelt: selbstgefällig, dünkelhaft, aufgeblasen, wichtigtuerisch, großspurig; dabei unrealistisch überzeugt von eigenen Eigenschaften wie Erfolg, Macht, Scharfsinn, Schönheit oder gar idealer Liebe.
Dazu weitere Belastungen wie Gier nach übermäßiger Bewunderung und unbegründete Erwartungen, als etwas Besonderes behandelt zu werden (wenn noch hysterische Züge dazukommen). Außerdem die Tendenz, andere auszubeuten, insbesondere was zwischenmenschliche Beziehungen (Partnerschaft, Familie), aber auch Finanzen, Position u. a. anbelangt. Gegebenfalls sogar ein unverständlicher Mangel an Mitleid, Zuwendung und Hilfsbereitschaft, dafür neidisch und manchmal sogar bösartig eifersüchtig. Kurz: eine Belastung besonderer Art.
Bei dieser Aufzählung fallen einem grundsätzlich ein oder mehrere Beispiele ein. Kein Wunder: Auch diese Menschen nehmen offenbar zu.
Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht als Einführung in den umfangreicheren Beitrag über Narzissmus (von der zeit-typischen Selbstverliebtheit bis zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung).
Der Begriff Narzissmus ist in aller Munde, derzeit mehr den je. Dabei muss man allerdings die zeit-typische egoistische Selbstverliebtheit (charakteristische Überschriften: Hochkultur des Scheins, der Egoismus nimmt zu, die „Allergrößten“ u. a.) von der seelischen Krankheit narzisstische Persönlichkeitsstörung abgrenzen.
Narziss war in der alt-griechischen Sage ein Jüngling, der sich in sein Spiegelbild verliebt hatte, weshalb man einen in sich selbst verliebten Menschen auch heute noch im Volksmund einen Narzissten nennt. Narzissmus ist also eine Mischung aus Selbstverliebtheit, Selbstbezogenheit, Selbstbewunderung und damit oft auch Egoismus.
Die medizin-historische, insbesondere neurosen-psychologische Geschichte des Narzissmus ist allerdings ein weites Feld, beginnend vom Auto-Erotismus (der erwähnten Selbstverliebtheit) Ende des 19. Jahrhunderts über die sexuelle Perversion (bei der der eigene Körper so behandelt wird, als handle es sich um ein Sexualobjekt) bis zum „primären“ und „sekundären“ Narzissmus vom Vater der Psychoanalyse, Professor Dr. Siegmund Freud, der den Narzissmus als „libidinöse Besetzung des Ich“ verstanden wissen wollte (Einzelheiten siehe Fachliteratur sowie das umfangreiche Kapitel über Narzissmus in unserer Internetserie „Psychiatrie heute“, dort auch eine Übersicht über die wichtigsten Angebote auf dem Fachbuch-Markt).
Doch schon früher wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass der Narzissmus auch eine normale Entwicklungsphase sein kann (z. B. als narzisstischer Schutzmechanismus gegen bedrohliche Triebimpulse). Neuerdings wird wieder vermehrt die Auffassung vertreten, dass Narzissmus an sich ein gesunder, normaler und notwendiger Teil der seelischen Entwicklung und des Seelenlebens überhaupt darstelle. Die sich im Laufe der Zeit entwickelte negative Tönung dieses Begriffes sollte wieder der Vergangenheit angehören. Andererseits gibt es nach Meinung vieler Psychiater und Psychotherapeuten bedrückende narzisstische Störungen von Krankheitswert, und zwar nicht nur für andere, letztendlich auch für die Betreffenden selber; und zwar zunehmend, wenn auch mit unterschiedlicher Ausprägung und wechselndem Belastungs-Schwerpunkt.
Die narzisstische Wesensart
Der ausgeprägte Wunsch nach Ruhm und Erfolg in unserer Zeit und Gesellschaft, das heftige medien-geleitete Konkurrieren auf den Weg dorthin und der unsanfte Umgang mit den anderen, vor allem den Verlierern kennzeichnen die derzeit gängige „narzisstische Wesensart“, sagen die Experten.
Die sieben Todsünden neu konzipiert
Sind die sieben Todsünden der kirchlichen Morallehre noch zeitgemäß? Oder besteht Bedarf nach einem neuen „Sündenkatalog“? Der britische Kultursender Radio 4 machte die Probe auf Exempel und lud seine Hörer ein, eine moderne Liste der schlimmsten Sünden unserer Zeit und Gesellschaft zu erstellen.
Von den sieben historischen Todsünden:
Hochmut – Neid – Zorn – Wolllust – Habgier – Trägheit – Völlerei
schaffte es nur die Trägheit (heute als Apathie bezeichnet) in das aktuelle (und deutlich erweiterte) Sündenregister, nämlich:
Selbstsucht – Heuchelei – Gleichgültigkeit – Intoleranz – Ignoranz (bewusste Unwissenheit) – Täuschung – Vergeudung – Grausamkeit – Zynismus.
Aus PSYCHOLOGIE HEUTE 2 (2005) 9
Narzissten, das sind Menschen, die besonderen Wert darauf legen, von anderen als überlegen, großartig und unerreichbar dazustehen. Sie reden fast ausschließlich von sich, ihren Ideen und Erfolgen. Dagegen bringen sie dem, was andere zu berichten haben, wenig Interesse oder sogar offene Geringschätzung entgegen. So wirken sie meist „arrogant, überheblich oder eingebildet“.
Als wichtige Ursachen gelten das Konkurrenz-, ja Bedrohungsgefühl vieler dieser Menschen. Sie sind sich ihrer selbst nicht sicher und können deshalb auch nicht offen, freundlich, aufgeschlossen, nachsichtig und hilfreich sein. Die anderen werden nicht nur als potentielle Konkurrenten, sondern auch als Bedrohung empfunden, die die eigenen Unzulänglichkeiten und Schwächen bloßstellen könnten. Diese seelische Labilität bahnt eine besondere Empfindlichkeit, ja Kränkbarkeit, ggf. heftige feindselige bis Rache-Impulse für eine (scheinbar) erlittene Demütigung.
Außerdem sind viele Narzissten unfähig, wirklich zu verzeihen und damit oft nachtragend (kennzeichnend der originelle, aber nicht falsche Satz aus Psychotherapeuten-Kreisen: „Gott-Vater vergibt, ein Narzisst nie...“).
Gott-Vater verzeiht – ein Narzisst nie...
Narzissten pochen nicht nur unverbesserlich auf ihr Recht, sie können auch Kränkungen nur schwer verzeihen, falls überhaupt.
Tatsächlich können auch psychologische Persönlichkeitstests beweisen, dass Narzissten nicht nur schneller als andere beleidigt oder gekränkt sind, sondern in der Tat auch nicht verzeihen können. Unabhängig von der Schwere des Unrechts und davon, ob sich die „Täter“ entschuldigen, bleiben sie meist unversöhnlich.
Und wenn sie verzeihen, dann nur unter der Bedingung der Wiedergutmachung: Das ihnen angetane Unrecht muss in irgendeiner Form vergolten werden. Für sie steht das eigene „Recht“ im Vordergrund. Zwischenmenschliche Kompromisse, Respekt für den anderen, Loyalität oder Fairness sind nicht ihre Sache. Sie sind nicht bereit, den „Tätern“ ihre Schuld „einfach so zu erlassen“.
Dass sie sich damit selber den größten Schaden zufügen, zeigt die psychosomatische Stress-Forschung. Sie hat nachgewiesen, dass Feindseligkeit und Nicht-verzeihen-Können nicht nur anstrengend, sondern auch auf der seelischen Schiene schließlich organisch riskant bis gefährlich sind, vor allem für Herz-Kreislauf und seelische Stabilität. Verzeihen dagegen entlastet.
Aus A. Huber (PSYCHOLOGIE HEUTE 8 (2005) 17. Die Untersuchungen der Sozialpsychologen R. Baummeister u. Mitarbeiter zitierend, z. B. im Journal of Personality and Social Psychology 6/2004).
Zwar haben nicht wenige Menschen mit solchen Wesenszügen zu kämpfen, doch der Narzisst (die Schreibweise der Experten ist uneinheitlich, die einen sprechen vom Narziss, die anderen vom Narzisst) entwickelt aktive Stabilisierungs-Strategien, die zum zusätzlichen (umfeld-bedingten) Problem werden: partnerschaftlich, familiär, Angehörige, Freundeskreis, Nachbarschaft, Berufsalltag u. a. Früheres Schlagwort: „Profil-Neurose“.
Nun sind die Übergänge von „normal“ zu „gestört“, zumindest aber „grenzwertig“ meist fließend. So gibt es durchaus auch positive Aspekte, die den narzisstischen Persönlichkeitsstil charakterisieren. Beispiele:
Sinn für das Besondere (z. B. durch erhöhte Leistungsorientierung, Bevorzugung ausgefallener Kleidung, elitäres Kunst-Empfinden, gepflegte Umgangsformen und status-bewusstes Auftreten). Außerdem ehrgeizige Anstrengungen im Bereich der eigenen (möglicherweise auch einseitigen oder gar begrenzten) Fähigkeiten und Kompetenzen mit erhöhter Leistung in Schule/Studium, im Beruf, Sport- und Freizeitbereich.
Leider ist bei einer solchen Anspruchshaltung und narzisstischen Wesensart mit verstärkter Kränkbarkeit, wenn nicht gar mit Neidgefühlen zu rechnen. Dazu kommt eine starke Sensibilität für negative Affekte (Gemütsregungen), insbesondere was Depressivität (Niedergeschlagenheit, was noch nicht krankhafte Depression bedeuten muss) und Angstbereitschaft anbelangt. Das ist fast eine heimliche Grundstimmung des Narzissten, die er allerdings nach außen heftig in Abrede stellt oder sogar über-kompensatorisch bekämpft (s. o.).
Dies wiederum führt – besonders bei lähmender Selbstunsicherheit und vor allem in entsprechenden Belastungssituationen – zwar zu einer Aktivierung aller Kräfte, damit aber auch zu einer fast spiralförmigen (Negativ-)Entwicklung:
Auf der einen Seite die Meinung, zwischenmenschlich zu wenig Akzeptanz (Angenommen-, Eingebunden-Sein, letztlich eigentlich Respekt) zu finden, auf der anderen der Versuch, die brüchige Selbstsicherheit durch erneute Übersteigerung und Selbstdarstellung zu festigen (Teufelskreis).
In einer solchen Entwicklung kann dann der Bereich des „Normalen“ (gesellschaftlich gesehen: des Üblichen) verlassen werden; der Betroffene droht sich der narzisstischen Störung zu nähern (s. u.).
Das wird vor allem dann unübersehbar, wenn der Narzisst im abgehobenen Maße von seiner Bedeutung überzeugt ist und die eigenen Fähigkeiten so unsensibel übertreibt, dass man spürt: Hier soll ein immer unsicherer werdendes Selbstwertgefühl stabilisiert werden. Bei ausgeprägter Kränkbarkeit drohen dann schließlich ängstlich-depressive Krisen, ja mitunter sogar eine wachsende „Lebensmüdigkeit“.
Am heftigsten pflegen übrigens narzisstisch Gestörte auf andere (echte oder vermeintliche) Narzissten zu reagieren. Da pflegen dann „die Wogen besonders hoch zu gehen“.
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung
Unter einer Persönlichkeitsstörung versteht man ein tief eingewurzeltes Fehlverhalten mit entsprechenden zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Konflikten (frühere bedeutungsgleiche oder -ähnliche Begriffe: abnorme Persönlichkeit, Psychopathie, Charakterneurose, dissoziale Persönlichkeit, Soziopathie u. a.). Nach Ursache und Verlauf dominieren erbliche, psychologisch verstehbare und sogar hirnorganische Faktoren (meist mehrschichtige Entstehungsweise); die genetischen (Erb-)Aspekte pflegen den größeren Teil einzunehmen, was die (Psycho-)Therapie auch so schwer macht und den Behandlungserfolg oft begrenzt.
Die diagnostischen Kriterien für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, wie sie beispielsweise die Amerikanische Psychiatrische Vereinigung (APA) vorgibt, lauten (modifiziert nach Arbeitskreis OPD):
Tiefgreifendes Muster von Großartigkeit in Phantasie oder Verhalten, Bedürfnis nach Bewunderung und Mangel an Empathie (Einfühlungsvermögen). Konkret sollen dabei mindestens fünf der folgenden Kriterien erfüllt sein:
- Größengefühl in Bezug auf die eigene Bedeutung und Wichtigkeit (übertreibt beispielsweise Leistungen und Talenten, erwartet als bedeutend angesehen zu werden – ohne entsprechende Leistungen).
- Beschäftigt sich dauernd mit Phantasien über unbegrenzten Erfolg, Macht, Scharfsinn, Schönheit oder ideale Liebe.
- Ist überzeugt, etwas Besonderes und Einmaliges zu sein und deshalb nur von anderen besonderen Menschen oder solchen mit hohem Status verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu können.
- Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung.
- Anspruchshaltung und unbegründete, vor allem übertriebene Erwartung an eine besonders günstige Behandlung oder die automatische Erfüllung dieser überzogenen Erwartungen.
- Ausnutzung von zwischenmenschlichen Beziehungen; Vorteilsnahme gegenüber anderen, um eigene Ziele zu erreichen.
- Mangel an Empathie (s. o.); Ablehnung, Gefühl und Bedürfnisse anderer anzuerkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren.
- Häufig Neid auf andere oder die Überzeugung, andere seien neidisch auf einen selber.
- Arrogante, hochmütige Verhaltensweisen, Einstellungen, Attitüden (innere Haltung).
Ein spezielles Problem ist die Neigung zur Selbstbeschädigung (auch durch Alkohol, Tabak, Medikamente, gesundheitsschädigendes Verhalten in sportlicher oder sonstiger Hinsicht) bis hin zu ernsteren Selbsttötungs-Impulsen. Dies vor allem bei ausgeprägter Kränkbarkeit.
Durch ihre Art viel zu fordern und wenig zu geben sind narzisstische Persönlichkeiten und vor allem Persönlichkeitsstörungen in ihrer Umgebung wenig beliebt, was dann auch einen verhängnisvollen Teufelskreis anheizt. Das kann allerdings lange dauern; „Narzissten kommt man im Allgemeinen recht spät auf die Schliche“.
Narzissmus im Alltag
Von narzisstischen Wesenszügen bis zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung: eine unsystematische Auswahl zur ersten Übersicht*
- Neigung, vor anderen als besonders überlegen, großartig und unerreichbar dazustehen, fast ausschließlich über sich und von sich zu reden. Den Problemen, Sorgen, Kümmernissen, Nöten und Aufgaben anderer gegenüber wenig Interesse oder sogar offene Geringschätzung.
- Halten sich für etwas Besseres, was sie andere auch gerne spüren lassen. Gelten deshalb auch häufig als (Zitate): eitel, geziert, eingebildet, dünkelhaft, selbstherrlich, überheblich, selbstgefällig, anmaßend, arrogant, hochmütig, selbst-verblendet, wichtigtuerisch, prahlerisch, großschnäuzig, aufgeblasen, blasiert, von der Affekt-Hascherei bis zum „Größenwahn“ u. a. (besonders wenn noch hysterische Wesenszüge hinzukommen – siehe das Internet-Kapitel über Hysterie).
- Eigenartiges Konkurrenz-, ja Bedrohungs-Gefühl vieler Narzissten; daher auch die Selbstunsicherheit und fassadenhafte Überheblichkeit. Und die Unfähigkeit, seinen Mitmenschen freundlich, aufgeschlossen, nachsichtig oder hilfreich zu begegnen. Narzissten erleben die anderen schnell als potentielle Konkurrenten, als gefährliche „Niedermacher“, kurz: als Bedrohung ihrer scheinbaren Selbstherrlichkeit. Ihre größte Furcht sind ihrer eigenen (auch vermeintlichen) Unzulänglichkeiten und Schwächen, die ggf. bloßgestellt werden könnten. Diese versteckten Minderwertigkeitsgefühle führen zu ausgeprägter Empfindlichkeit, ja Kränkbarkeit, ggf. zu heftigen feindseligen bis Rache-Impulsen über eine (scheinbar) erlittene Demütigung.
- Narzissten sind oft unfähig, wirklich zu verzeihen – und damit nachtragend. Statt Großzügigkeit, Nachsicht, und Verzeihung fordern sie – wenn auch uneingestanden und selbstverständlich nicht nach außen formuliert –, „Vergeltung für das ihnen angetane Unrecht“. Sie sind nicht bereit, den „Tätern“ ihre Schuld „einfach so zu erlassen“ (Wiedergutmachung um jeden Preis).
- Deshalb der hartnäckige Versuch, „nie mehr der Kleinste, am besten der Allergrößte zu sein“. Konsequenz: „Profil-Neurose“, sich ständig hervortun, aus der Masse herausragen, ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit aufzublasen, seine eigenen Leistungen und Talente ständig hervorzuheben, in Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe (siehe diagnostische Kriterien) eingesponnen zu sein, übermäßige Bewunderung zu erwarten und naives Anspruchsdenken zu pflegen.
- Und wenn sich eine Niederlage abzeichnet, dann diese einfach positiv umzuwerten. Beispiel: Misserfolg ist einfach die Unfähigkeit der anderen, die eigene Größe zu erkennen. Oder noch lächerlicher: „Die sind ja nur neidisch“.
- Auch in Freundeskreis und sogar Partnerschaft die gleichen Probleme: immer und überall auf den eigenen Vorteil bedacht, selbst „im Kleinen“. Narzissten schaffen es meist mehr zu bekommen, als sie geben. So lassen sie andere ständig um ihre eigenen Probleme kreisen. Wenden sich diese schließlich genervt ab, kann es der Narzisst überhaupt nicht begreifen, dass man nicht ständig ein offenes Ohr für ihn hat. Sein Mangel an Gefühl, Zuwendung und Herzenswärme verbaut ihm die primitivsten Erkenntnisse im Sinne von „Geben und Nehmen muss ein ausgeglichenes Verhältnis haben“.
Interessant auch die alte Erkenntnis, dass Narzissten gerade das wollen, was sie selbst am wenigsten zu bieten haben (viele Beispiele aus dem Alltag). Im zwischenmenschlichen Bereich übrigens auch oft eine rasche und meist unbegründete Eifersucht – und damit entsprechende Szenen.
- Beziehungsstörung bzw. gar Beziehungsunfähigkeit. Beispiele: Dem Partner ständig signalisieren, wie viele des anderen Geschlechts sich permanent und bewundernd um ihn scharen; oder noch eindeutiger: er sei nur ein Partner auf Abruf, sobald sich etwas Besseres findet...; nach dem Bruch bei nächster Gelegenheit mitteilen, dass man jetzt die „Beziehung seines Lebens gefunden habe“; gegenüber Kranken mit der eigenen Gesundheit prahlen, bei wirtschaftlichen Niedergang die eigene Absicherung rühmen; bei befürchteter Alterung ständig mit Lobeshymnen zur eigenen Person verunsichern.
Und wenn auf die Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle des anderen halbwegs eingegangen wird, dann häufig ungnädig, missbilligend, abwertend, verächtlich, geringschätzig, respektlos, wenn nicht gar vernichtend, z. B. als Zeichen von Schwäche, Niedergang, Hilflosigkeit, Verletzlichkeit, Krankheitsanfälligkeit, mangelhafter Begabung u. a.
Oder kurz: Von narzisstisch Gestörten geht nicht selten eine gefühlsmäßige Kälte und ein allseits irritierender Mangel an fürsorglichem Interesse oder zumindest Verständnis für die Bedürfnisse anderer aus. Das wird allerdings in vielen Fällen erst relativ spät deutlich. Das Umfeld der Narzissten und insbesondere die Partner merken lange nicht, was sich hier abspielt – zu ihren Lasten.
- Neigung, sich zur Selbst-Stabilisierung besonders privilegierten Gruppen anzuschließen. Diese anderen „Allergrößten“ werden dann nicht bekämpft, sondern akzeptiert, aber nicht um ihrer Position oder Leistung willen, sondern als Ausweis eigener Größe.
- Kleine „narzisstische Alltags-Charakteristika“ (Beispiel-Auswahl): nur von „Spitzen-Experten“ beraten, betreut, behandelt und bedient werden („für mich ist das Beste gerade gut genug“); ständig auf Komplimente aus sein; erwarten, dass man ihnen grundsätzlich entgegenkommt und erstaunt bis erbost sein, wenn dies nicht automatisch geschieht (Warteschlange, Sicherheitsempfehlungen, bevorzugte Behandlung u. a.); nicht nur Erwartung, auch konkrete Manipulationen, um bestimmte Privilegien oder Mittel an sich zu reißen, die der Narzisst verdient zu haben glaubt, gleichgültig, was das für Konsequenzen für andere hat; oberflächliche alltägliche Konversation, die letztlich nur der eigenen Selbst-Darstellung dient (oder Informationen von anderen, um sich damit in eine vorteilhafte Position zu bringen); Neigung, ihre eigene Angelegenheiten unangemessen detailliert, langwierig und nur auf Verständnis, Anerkennung und Lob ausgerichtet zu besprechen (und nicht etwa zu diskutieren, das könnte ja Kritik enthalten). Und die Probleme anderer kaum wahrzunehmen, geschweige denn zu erörtern u.a.m.
* Weitere Einzelheiten siehe das ausführliche Narzissmus-Kapitel in der Internet-Serie „Psychiatrie heute“.
Geschlecht – Alter – Ursachen – Mehrfachbelastung
Die bisher vorliegenden Vorschläge zu Definition, Klassifikation, Häufigkeit, Geschlecht, Ursachen u. a. sind zwar noch umstritten (z. B. APA gegen Weltgesundheitsorganisation - WHO), lassen aber zumindest einige charakteristische Erkenntnisse zu:
Männer sind (bisher) häufiger betroffen als Frauen, Letztere holen auf. Konkrete Zahlen liegen nicht vor (je nach Studie breit streuend zwischen 2 und 35% in der Allgemeinbevölkerung?).
Altersmäßig dominieren die mittleren Lebensjahre. Es beginnt bei Heranwachsenden (seltener schon in Kindheit und Jugend, dort wird es in der Regel noch nicht hingenommen und kann sich deshalb auch nicht voll entfalten), hat offensichtlich seinen Gipfel in den erwähnten mittleren Lebensjahren und pflegt im Allgemeinen im Rückbildungsalter (d. h. nach den Wechseljahren, die ja auch den Mann treffen) etwas zurückzugehen.
Es gibt aber auch Fälle, in denen gerade im „dritten Lebensalter“ der Narzissmus (späte) Blüten treibt. Dort nimmt er dann allerdings die allseits erkennbaren „alters-typischen egoistischen Züge“ an, die – wie in Kindheit und Jugend – ebenfalls nicht (mehr) so selbstverständlich und tolerant hingenommen werden und deshalb mitunter eine etwas klagsame, fast lächerliche Form annehmen können. Wer sich diese Wesensart allerdings von seiner Position her (partnerschaftlich, familiär, wirtschaftlich, finanziell, beruflich, kulturell u. a.) leisten kann, wird dann auch im höheren Alter ein schwer ertragbares Problem bleiben.
Die Ursachen sind ähnlich wie bei den meisten Persönlichkeitsstörungen (s. o.).
Die psychosozialen Folgen sind – im Gegensatz zu gerade noch vertretbaren narzisstischen Wesenszügen (s. o.) – sehr viel folgenschwerer, vor allem im zwischenmenschlichen Bereich. Die Konsequenzen für Partnerschaft, Familie, Nachbarschaft, Arbeitsplatz u. a. mitunter sehr herb – nebenbei für beide Seiten. Denn das Leidensbild neigt zu chronischem Verlauf.
Interessantes Phänomen: die Ko-Morbidität (wenn eine Krankheit zur anderen kommt: Mehrfachbelastung). Hier fallen am häufigsten – wie erwähnt – narzisstische Persönlichkeitsstörungen mit hysterischen zusammen (narzisstische Persönlichkeitsstörung mit hysterischen Anteilen). Noch dramatischer ist die Kombination aus Narzissmus und Borderline-Persönlichkeitsstörung, wenn nicht gar antisozialer Persönlichkeitsstörung. Seltener sind Kombinationen mit paranoiden (wahnhaften) Persönlichkeitsstörungen, mit affektiven (Gemüts-) Störungen wie Depression oder manischer Hochstimmung, mit Ess-Störungen, Medikamenten- und/oder Rauschdrogenabhängigkeit. Interessant, wenngleich noch nicht ausreichend erforscht: die gleichzeitige Belastung von narzisstischer Persönlichkeitsstörung und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS/ADS).
Erhebliche Probleme kann der so genannte „maligne (bösartige) Narzissmus“ auslösen, besonders in der Kombination: narzisstische und antisoziale Persönlichkeitsstörung. Auch wird immer deutlicher, dass die (derzeit wieder öfter notgedrungen zur Diskussion stehende) Amok-Gefahr, viel mit narzisstischer Kränkbarkeit zu tun hat, sei es im persönlichen Bereich, sei es politischer Fanatismus. So ist auch die erhöhte Selbsttötungsgefahr zu erklären, die nicht zuletzt in einen so genannten „Sensations-Suizid“ münden kann.
Einzelheiten siehe das ausführliche Narzissmus-Kapitel sowie die entsprechenden Beiträge in dieser Internet-Serie.
Lässt sich Narzissmus heilen?
Die (psychotherapeutische) Behandlung narzisstischer Wesenszüge kann manches lindern helfen, eine völlige „Kehrtwendung der Wesensart“ ist eher unwahrscheinlich. Noch problematischer wird es bei den narzisstischen Persönlichkeitsstörungen. Sie brauchen spezifische Kenntnisse, viel Verständnis, Nachsicht und Geduld (auf Deutsch: „ein dickes Fell“) und können – selbst nach abgeschossener Psychotherapie – eine Lebensaufgabe bleiben. Dann allerdings nicht nur für das belastete Umfeld, auch für den Betroffenen selber. „Die Gesellschaft ist nicht wehrlos“; das bekommt auch irgendwann der hartnäckigste Narzisst zu spüren (und dann geht das klagende Selbstmitleid los).
Denn nicht nur die seelische Stabilität und psychosoziale Stellung, auch die körperliche Gesundheit vieler narzisstischer Persönlichkeitsstörungen (auch bei „nur“ narzisstischer Wesensart) ist – wie erwähnt – brüchig; und dies insbesondere über die psychosomatische Schiene (Stichwort: Psycho-Neuro-Immunologie).
Das heißt konkret: Wenn die Reserven aufgebraucht und die Kräfte erschöpft sind („auch der gnadenloseste Narzisst ist und bleibt letztlich ein Mensch mit den bekannten Grenzen“) geht es erst einmal an die individuellen Schwachpunkte des Narzissten, teils seelisch, teils zwischenmenschlich, teils körperlich. Und davon gibt es mehr, als der Betreffende bisher ahnte.
Der Schwerpunkt liegt in der Regel auf psychosomatischem Gebiet, d. h. unverarbeitete seelische Probleme äußern sich körperlich, wenn auch ohne krankhaften organischen Befund. Beispiele: Kopf(schmerzen), Herz-Kreislauf, Magen-Darm, Wirbelsäule und Gelenke und nicht zuletzt die körpereigene Abwehr (das Immunsystem), das geschwächt dann für eine Vielzahl von ständigen Infekten verantwortlich ist.
Medikamentös sollte man eher zurückhaltend sein. Bei schließlich ängstlich-deprimierter Dauerverstimmung werden aber ggf. Antidepressiva, in (mitunter inszenierten) Krisensituationen Benzodiazepin-Tranquilizer empfohlen (kurzfristig und in Tropfenform).
Die langfristigen Heilungsaussichten aber sind und bleiben meist unklar. Narzissten sind eine Belastung, zuerst für andere, später auch und vor allem für sich selber – oft ein Leben lang.
Schlußfolgerung
Nicht alle Narzissten sind „gnadenlose Psychopathen“ im Sinne einer extremen narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Die schicksalhafte Bandbreite des narzisstischen Alltags erstreckt sich von leicht gestört (und damit noch schwerer erkennbar, zumindest erstaunlich lange) über mittelgradig belastet bis zu jenen Extremen, die dann allerdings mit einer konsequenten Ausgrenzung durch ihr gepeinigten Umfelds rechnen müssen, spätestens wenn sich irgendwann einmal die persönlichen oder beruflichen Macht-Verhältnisse zu Lasten des Narzissten verschieben.
Eines aber fällt immer wieder auf, auch im dezenten und lange schwer durchschaubaren Rahmen:
Narzissten haben ein Defizit, was den respektvollen, einfühlsamen und hilfsbereiten Umgang mit anderen Menschen anbelangt. Das ist zuerst das harte Los der Mit-Betroffenen – und schließlich ihr eigenes.
Borderline Syndrom und PTBS Einleitung
Das Borderline-Syndrom ist eine Persönlichkeitsstörung mit ausgeprägter emotionaler Instabilität. Zum Erscheinungsbild gehören sehr wechselhafte Stimmungen und Affekte, ein zerrüttetes Selbstbild, unterschiedlich ausgeprägte Formen traumabedingter Dissoziationen und damit verbundene Autoaggression, sowie hohe Sensibilität bei der sozialen Interaktion und ein extremes Emotionsgedächtnis. Vor allem die letzten beiden Symptome sind häufig Ursache für soziale Konflikte. Die Abkürzung BPS steht für Borderline-Persönlichkeits-Störung.Die Abkürzung PTBS steht für Post-Traumatische-Belastungs-Störung. Darunter werden unterschiedliche psychische und psychosomatische Symptome zusammen gefasst, die als Langzeitfolgen eines oder mehrerer Traumata verstanden werden. Schwere, Zeitpunkt und Dauer der Traumatisierung beeinflussen die Ausprägung und den individuellen Grad der Beeinträchtigung.
Depressionen
Die moderne Medizin geht heute davon aus, dass es eine Reihe von Ursachen für die Entstehung von Depressionen gibt. Erbliche (genetische) Veranlagungen Kinder eines bereits depressiv erkrankten Elternteils können mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von dieser Erkrankung betroffen sein als Nachkommen von Eltern, die nie unter einer Depression litten.
Neurobiologische Ursachen
Bei Depressionen liegt ein Ungleichgewicht oder eine gestörte Konzentration von bestimmten Botenstoffen im Gehirn, den so genannten Neurotransmittern, vor.
Diese Substanzen sind für die Informationsübertragung zwischen den einzelnen Nervenzellen zuständig. Ein Missverhältnis dieser Botenstoffe kann nicht nur Ursache der Depression, sondern auch Grund für andere Erkrankungen sein. Es stehen heute eine Reihe von Medikamenten zur Verfügung, die diese Botenstoffe wieder in eine Balance bringen und sich bei der Behandlung der Depression als besonders wirksam erwiesen haben.
Traumatische Faktoren
Ein weiterer Erklärungsansatz für das Auftreten von Depressionen geht davon aus, dass schmerzliche Erfahrungen, die ein Mensch lebenslang macht, entsprechend „abgespeichert“ werden. Zu einem späteren Zeitpunkt kann die gespeicherte Erfahrung durch ähnliche Situationen aus dem Unterbewusstsein abgerufen werden und eine depressive Störung auslösen. Hierzu zählen beispielsweise Verlustängste gegenüber der Mutter, die dann später z.B. in einer Konfliktsituation mit dem Ehepartner wieder hervortreten. Ebenso kann durch zwischenmenschliche Kränkungen in Partner- oder Freundschaft, durch Verlust des Arbeitsplatzes oder den Tod eines nahen Angehörigen eine Depression ausgelöst werden.
Sonstige Faktoren
Es gibt zahlreiche Erkrankungen wie z.B. Schilddrüsenerkrankungen, in deren Folge auch Depressionen ausgelöst werden können. In diesen Fällen wird der behandelnde Arzt bemüht sein, zunächst die Haupterkrankung wirkungsvoll zu therapieren. Häufig genügt die Therapie der ursächlichen Erkrankung, um danach die Depression erfolgreich behandeln zu können.
Darüber hinaus können auch einige Arzneimittel, die zur Behandlung von bereits bestehenden organischen Erkrankungen angewendet wurden, als Nebenwirkung Depressionen auslösen. Deshalb sollte jeder Patient bereits beim ersten Gespräch mit dem Arzt alle zur Zeit eingenommenen Medikamente benennen. Eine Arzneimittelumstellung auf ein anderes Präparat kann in bestimmten Fällen bereits die Depressionssymptomatik zum Abklingen bringen.
Symptome
Die Depression ist eine Erkrankung, die sich sehr vielgestaltig äußern kann, entsprechend groß ist die Anzahl der Beschwerden. Sie läßt sich nicht so einfach bestimmen, wie etwa z.B. ein hoher Blutdruck gemessen werden kann. Bei der Depression unterscheidet man sog.Hauptsymptome, Zusatzsymptome und weitere charakteristische Symptome unterschieden.
Haupsymptome Verlust von Interesse und Freude:
Es handelt sich hierbei um die stark verminderte oder sogar völlig erloschene Fähigkeit, sich an wichtigen Dingen des Alltags zu freuen bzw. daran teilzunehmen. Dieses kann sich auf das gesamte soziale Umfeld, also Familie, Freundeskreis oder den Beruf erstrecken, aber auch das Interesse an Hobbies, Sport oder sexuellen Aktivitäten betreffen.
Depressive Stimmung:
Die depressive Stimmung läßt sich am besten mit den Worten "innere Leere" umschreiben. Es stellen sich Situationen ein, in denen das Gefühl der Verzweiflung quasi aus heiterem Himmel – also aus Sicht eines Außenstehenden objektiv grundlos – vorherrschen.
Verminderung des Antriebs:
Unter Antrieb wird die Kraft verstanden, die uns ein zielgerichtetes Verhalten erlaubt, also die Energie für unser tägliches Leben. Ist der Antrieb vermindert, stellt sich das Gefühl der Energielosigkeit ein. Die Motivation zur Durchführung selbst einfacher Alltagsaktivitäten Führen des Haushalts, Kochen oder gar Essen bis hin zur Körperpflege ist abhanden gekommen – die Antriebslosigkeit wirkt wie eine tonnenschwere Last, die jede Bewegung ausbremst.
Zusatzsymptome
Konzentrationsstörungen:
Häufig fällt es schwer, mit den Gedanken bei einer Tätigkeit oder einer Aufgabe zu bleiben. Das Gedächtnis ist manchmal wie das sprichwörtliche "Sieb" und die Aufmerksamkeit gegenüber der Umwelt häufig eingeschränkt.
Mangelndes Selbstwertgefühl, -vertrauen:
Ein depressiv erkrankter Mensch erlebt nicht nur seine Umgebung dunkel und grau, er sieht sich häufig auch selbst durch die negative Brille. Er empfindet sich als wertlos und oft als Belastung für sein Umfeld. Auch vergangene Leistungen oder Fähigkeiten werden als sinn- oder nutzlos abgewertet.
Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit:
Einhergehend mit mangelnden Selbstwertgefühlen neigen depressive Menschen dazu, sich Fehler und Versäumnisse vorzuwerfen – und sich dafür im Sinne eines Schuldigen verantwortlich zu fühlen. Depressive Denkinhalte umfassen oft Themen, wie z.B. Schuld, Sünde, Schmutz, Armut und können sich manchmal bis hin zum Wahn steigern: die Angst um das Seelenheil oder den Besitz sowie die Neigung des depressiv Erkrankten, sich in seiner Nutz- und Wertlosigkeit selbst die Schuld dafür zu geben.
Pessimistische Zukunftsperspektive:
Entsprechend der negativen Selbst- und Weltsicht, die der depressive Mensch hat, sieht er auch seine Zukunft als hoffnungs- und aussichtslos. Jeder neue Tag wird als weitere Belastung erlebt, dazu können sich Ängste vor allem und jedem gesellen.
Lebensüberdruß, Selbsttötung:
Wenn die quälenden Gedanken der Sinnlosigkeit und der inneren Leere einen immer größer werdenden Raum einnehmen, kann sich das Gefühl des Lebensüberdrusses ausbreiten. Oft erscheint der eigene Tod als einziger Weg aus dem Tal der dunklen Gefühle. An die Gleichgültigkeit des eigenen Lebens/Seins können sich konkrete Gedanken zur Durchführung einer Selbsttötung anschließen und werden als Erlösung von der Qual angesehen. Von den ersten Gedanken an den Freitod bis zum Selbsttötungsversuch können in Einzelfällen nur wenige Stunden vergehen, häufiger jedoch kreisen diese Gedanken wochen- bis monatelang im Kopf eines depressiven Menschen.
Bei ersten Hinweisen einer Selbsttötungsabsicht muß sofort ein Arzt oder eine Klinik aufgesucht werden!
Schlafstörungen:
Zu den ersten und häufigsten Symptomen einer Depression gehören Nichtein- oder -durchschlafen können. Morgendliches Früherwachen zwischen 3 und 5 Uhr und vor lauter Gedankenkreisen und Grübeln nicht mehr einschlafen zu können, ist typisch. Nach dem morgendlichen Aufstehen liegt nicht eine erholsamen Nacht hinter dem Depressiven, sondern er fühlt sich schlapp, kraftlos, fahrig und erschöpft. Trotz einer enormen Müdigkeit am Abend, kann sich diese Ein- und Durchschlafstörungen sowie frühmorgendliches Erwachen mit quälenden Grübeleien Nacht für Nacht wiederholen.
Appetitverminderung:
Gewichtsverluste treten relativ häufig bei depressiven Patienten auf und sind das Resultat aus mangelndem Appetit. Das Essen schmeckt einfach nicht mehr und der Depressive muß sich regelrecht zum Essen zwingen.
Weitere charakteristische Symptome
Libidoverlust:
Ein nachlassendes Interesse an Sexualität und eine Beeinträchtigung der sexuellen Funktionen belasten viele depressive Menschen zusätzlich und verstärken ihr mangelndes Selbstwertgefühl. Zu den sexuellen Beeinträchtigungen gehören der Mangel, überhaupt noch Lust zu empfinden, aber auch Erektionsstörungen oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.
Grübeln, Entscheidungsunfähigkeit:
Langes Hin- und Herüberlegen auch bei alltäglichen Prozessen, Gedankenkreisen um immer ein und dieselbe Sache, können eine Depression kennzeichnen. Entscheidungen, die ein Gesunder mit einem klaren ja oder nein beantwortet, können vom Erkrankten nicht getroffen werden: "Gehe ich heute spazieren?" kann endlos lange im Kopf eines Depressiven diskutiert werden, ohne daß er zu einem Ergebnis kommt.
Gefühl der Gefühllosigkeit:
Antriebslos, freudlos, hoffnungslos, kraftlos, mutlos – anders ausgedrückt: gefühllos. Dies empfinden viele depressive Menschen. Schöne Gefühle wie Freude, Heiterkeit, Zuversicht, aber auch Traurigkeit, Verlust weichen einem Zustand von innerer Erstarrung, einem Abgestumpftsein oder dem Gefühl von Leere.
Unruhe und Getriebenheit:
Depressionen können sich nicht nur im Sinne einer "Hemmung" äußern. Im gegenteiligen Fall sind die Patienten von quälender Unruhe getrieben, sind schreckhaft und übererregt. Das Gefühl der inneren Unruhe läßt sich manchen Menschen wie ein Dampfkochtopf fühlen, der kurz vorm Platzen steht.
Körperliche Symptome:
Oft versteckt sich eine Depression hinter einer Vielzahl von körperlichen Symptomen und entsprechend schwierig gestaltet sich die Diagnose. Spannungs- und Druckgefühle oder Schmerzen im Kopf oder der Herzgegend, Nacken- und Rückenschmerzen, Probleme im Magen-Darmtrakt mit Erbrechen, Verstopfung oder Durchfall, Atemstörungen, Schluckstörungen, Menstruationsprobleme – es gibt eigentlich kaum ein Organsystem, durch das sich eine Depression nicht ausdrücken kann.
Die Abklärung dieser körperlichen Beschwerden bleibt objektiv meist ohne Befund, die subjektiv empfundenen Störungen oder Schmerzen sind für den Betroffenen jedoch sehr real.
Schweregrad
Je nach Anzahl der vorhandenen Symptome kann die Depression in verschiedene Schweregrade eingeteilt werden. Hiernach richtet sich dann auch der therapeutische Behandlungsansatz.Die körperlichen Symptome können unabhängig von den Haupt- und Zusatzsymptomen bei allen Schweregraden auftreten. Eine depressive Episode – ebenfalls unabhängig vom Schweregrad – kann einmalig auftreten oder sich in unterschiedlichen Zeitabständen wiederholen. Im letzteren Fall wird die Krankheit als "rezidivierende depressive Episode" bezeichnet.
Leichte depressive Episode
Über einen Zeitraum von mindestens 2 Wochen treten 2 Hauptsymptome plus 2 Zusatzsymptome auf.
Mittelschwere depressive Episode
Über einen Zeitraum von mindestens 2 Wochen treten 2 Hauptsymptome plus 3-4 Zusatzsymptome auf.
Schwere depressive Episode
Über einen Zeitraum von mindestens 2 Wochen treten alle 3 Hauptsymptome plus mindestens 4 Zusatzsymptome auf.
Quelle
Manie
Die Manie ist eine affektive Störung (Affekt = Gemütszustand) mit gehobener Stimmung, Antriebssteigerung, Denkstörungen sowie evtl. Wahn. Die Manie tritt nur selten isoliert auf. In den meisten Fällen bildet sie den Gegenpol zur Depression. Bei sogenannten bipolaren affektiven Störungen oder auch manisch-depressiven Erkrankungen wechseln sich manische Phasen mit depressiven Perioden unterschiedlicher Dauer ab.
Manische Phasen können wenige Tage, aber im Extremfall sogar auch mehrere Jahre anhalten. Leichte Formen der Manie werden als Hypomanie bezeichnet.
Symptome
Manie zeigt sich als grundlos heitere, gehobene Stimmung mit einer extrem optimistischen Einstellung, die längere Zeit andauert. Durch die permanent unangemessen gute Stimmung verliert der Betroffene den Sinn für die Wirklichkeit. Er überschätzt sich selbst und beurteilt entsprechende Situationen falsch. Die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten werden überschätzt. Die Betroffenen fühlen sich ausgesprochen wohl, sie beschreiben ihren Zustand als großartig, beglückend, euphorisch. Manche Maniker sind aber auch gereizt und aggressiv, insbesondere wenn ihre Umgebung sich ihren Ideen widersetzt.
Typisch für Maniker ist der Größenwahn (Als Wahn bezeichnet man eine fehlerhafte Beurteilung der Realität, die nicht durch Logik und Erfahrung korregiert werden kann.). Die Betroffenen fühlen sich allem überlegen, allmächtig und überschätzen ihre Möglichkeiten grenzenlos. Beispielsweise kann ein manischer Patient der felsenfesten Überzeugung sein, durch seine Spenden die Armut auf der Welt beseitigt zu haben und will dies mit allen Mitpatienten feiern.
Eine typische Denkstörung des Manikers ist die Ideenflucht. Die Betroffenen denken schneller, aber auch flüchtiger als sonst und hüpfen von Einfall zu Einfall. Durch äußere Eindrücke werden sie sofort abgelenkt, sie können sich nicht mehr konzentrieren. Viele Aktivitäten werden gleichzeitig begonnen, aber nichts wird wirklich zu Ende geführt.
Die gesteigerte seelische und körperliche Erregtheit bei manischen Patienten kann sich unter anderem in einer gesteigerten Psychomotorik ausdrücken. Die Psychomotorik ist der sichtbare Ausdruck innerer Stimmungen und Zustände durch äußerlich erkennbare Mimik, Gestik und Haltung. Manische Patienten eilen von einer Beschäftigung zur nächsten, meistens, ohne zu einem Ergebnis zu kommen und entwickeln dabei große Energien. In schweren Fällen sind die Patienten so erregt, dass sie toben und Gegenstände zerstören.
Die Kombination aus gehobener Stimmung, Größenideen und Antriebssteigerung führt insgesamt dazu, dass der Kranke den Bezug zur Realität verliert. Unüberlegte Handlungen wie maßlose Einkäufe, Übernahme unerfüllbarer Verpflichtungen und spontane, unsinnige Geschäftsgründungen führen häufig zu Verschuldung.
Maniker sind sehr kontaktfreudig, aber sie können im Rahmen einer aktuellen Erkrankung keine tiefergehenden Freundschaften oder Bindungen eingehen bzw. pflegen. Manische Patienten leben in einer irrealen Welt, die kein "Du" oder "Wir" kennt, sondern nur "Ich".
Das insgesamt maßlose Verhalten von manischen Patienten gefährdet sowohl den Patienten selbst, als auch seine Angehörigen.
Die fehlende Realitätseinschätzung kann auch zu akuter Selbstgefährdung führen, z.B. durch "grenzenloses" Verhalten beim Autofahren oder wenn ein Patient überzeugt ist, er müsse als Jesus Christus die Welt durch seinen Opfertod erlösen. Kurzzeitig (Minuten bis Stunden) kann die Stimmung des Patienten auch ins Negative umschlagen, was bis zu Selbstmordgedanken führt.
Trotz der Überaktivität kommt es oft als körperliches Symptom zu einer Verkürzung der Schlafdauer, was die Patienten aber nicht stört, sie fühlen sich ausgeruht.
Das Bedürfnis nach Sexualität kann ebenfalls gesteigert sein. Es kann zu sexuellen Exzessen kommen.
Einteilung
Es werden in der Literatur zahlreiche Formen der Manie je nach der Ausprägung der unten beschriebenen Symptomatik unterschieden. Hier die wichtigsten Bezeichnungen:
- heitere Manie - fröhlich, mit übertrieben positivem Körpergefühl
- gereizte Manie - mit überwiegend gereizter, zorniger Stimmung, wobei die Kranken durch ihr überreaktives Streiten und Querulieren auffallen
- verworrene Manie - erregte Manie mit stark beschleunigtem Gedankengang und deutlicher Ideenflucht
- ideenflüchtige Manie - das Symptom Ideenflucht ist am stärksten ausgeprägt
Von seniler Manie spricht man bei erstmals im Alter auftretenden Symptomen, die Krankheitsphasen sind oft sehr lang, es kommt häufig zu chronischen Verläufen.
Der Übergang von einem unauffälligen, durchschnittlichen Gemütszustand zur Hypomanie ist fließend und daher schwer abzugrenzen. Die Betroffenen erleben sich in einer besonders glücklichen, erfolgreichen und enegiegeladenen Lebensphase. Meist können nur vertraute Personen den Unterschied zur normalen Persönlichkeit des Patienten unterscheiden.
Ursachen
Die Ursachen manischer Syndrome sind noch weitgehend unbekannt, ähnlich wie bei den psychischen Erkrankungen, in deren Rahmen sie auftreten, z.B. Depression oder Schizophrenie. Die Erkrankung tritt jedoch familiär gehäuft auf, was für eine erbliche Komponente spricht.
Auslösung
Das Störungsbild der Manie kann ohne erkennbare äußere Auslöser auftreten, aber z.B. auch nach Vergiftungen, nach Drogenkonsum (vor allem Kokain) oder Drogenentzug.
Eine sogenannte reaktive Manie kann durch ein aufwühlendes Erlebnis wie Freunde, Schreck oder Angst ausgelöst werden.
Dignose
Die Manie wird anhand der Symptome diagnostiziert. Von diesen Symptomen müssen mindestens drei wenigstens eine Woche vorhanden sein. Eine hypomanische Episode besteht bereits, wenn über vier Tage anhaltend eine abnorm gehobene Stimmung vorliegt.
Behandlung
Obwohl manische Patienten sich subjektiv bestens fühlen, müssen sie behandelt werden, um Schaden von ihnen und ihrer Umgebung abzuwenden. Die Patienten wehren eine Behandlung oft ab, besonders im akuten Stadium reagieren sie feindselig und gereizt, es kann zu verbalen und tätlichen Auseinandersetzungen kommen. Der Umgang muss sehr behutsam erfolgen.
Günstig ist es, den Patienten nicht zu vielen anregenden Kontakten auszusetzen, um seinen Aktionismus nicht zu unterstützen. Phasenweise Ruhe und Alleinsein tut den meisten Patienten gut. Günstig ist auch sportliche oder künstlerisch-kreative Betätigung, sofern dabei keine intensive Auseinandersetzung mit anderen Personen verbunden ist. Ein geregelter Tagesablauf wirkt sich ebenfalls positiv aus. Es ist wichtig, dass der Patient sich nicht fremdbestimmt fühlt, sondern eine freiwillige, vertauensvolle therapeutische Beziehung aufgebaut wird.
Psychotherapeutische Behandlung
Aufgrund der mangelnden Krankheitseinsicht ist eine Psychotherapie während der akuten Erkrankung meist nicht möglich. Aber es ist sehr wichtig, dass im Anschluss eine Psychotherapie stattfindet. Auch wenn manche Betoffenen erst nach mehreren manischen Phasen und der Erinnerung an dadurch entstandene Probleme, wie Verschuldung oder Beziehungskrisen, oder auch in Zusammenhang mit den oft anschließenden depressiven Episoden die Notwendigkeit einer Behandlung erkennen können.
Pharmakotherapie
Die medikamentöse Therapie stützt sich in erster Linie auf die Gabe von Lithium als Mittel der ersten Wahl bei akuter Manie und auch Hypomanie. Um eine gute Wirkung zu erreichen, müssen bei der Manie relativ hohe Spiegel des Medikamentes erreicht werden. Um die Dosis optimal einzustellen und zu halten, sind häufige Spiegelkontrollen (Blutentnahme) notwendig. So werden Überdosierung oder Vergiftungen vermieden.
Da Lithium erst nach ca. einer Woche seine Wirkung zeigt, werden Manien im akuten Stadium zunächst häufig mit Neuroleptika behandelt. Hier muss die Dosierung vorsichtig erfolgen, um unerwünschte Wirkungen zu vermeiden, die von manischen Patienten als besonders unangenehm empfunden werden.
Da ausreichender Schlaf von mindestens 6 bis 7 Stunden einen guten antimanischen Effekt hat, bietet es sich an, die Patienten dabei mit eher beruhigend wirkenden Neuroleptika (z.B. Levomepromazin) oder Benzodiazepinen zu unterstützen.
Alternativ oder in Kombination mit Lithium werden auch Antiepileptika wie Carbamazepin oder Valproinsäure eingesetzt. Je nach Verträglichkeit und Therapieerfolg können diese beiden Substanzen auch gut mit der Gabe von Neuroleptika kombiniert werden.
Zur Vorbeugung von weiteren Phasen werden ebenfalls Lithium und Carbamazepin eingesetzt.
Verlauf und Prognose
Eine Prognose über die Dauer der manischen Phase ist nicht möglich, sie ist erheblich von einer konsequenten Therapie abhängig. Die manischen Phasen insgesamt dauern in der Regel einige Tage bis Wochen, selten auch Jahre. Meist heilt die Manie vollständig aus. In seltenen Fällen kann es zu einer chronischen, nicht mehr heilenden Manie kommen. Lange Phasendauer und Neigung zur Chronifizierung sind typisch für die senile Manie.
Informationen für Bezugspersonen
Wie bereits beschrieben, verhält sich der Maniker grenzenlos und maßlos in seiner Lebensplanung, in seinen Aktivitäten und auch in zwischenmenschlichen Beziehungen. Es ist schwierig, ihn im Guten auf Grenzen hinzuweisen, da er sich selbst nicht als krank empfindet, und darauf leicht aggressiv reagiert.
Es gilt also, dem Betroffenen behutsam die Grenzen anderer Menschen nahezubringen, zu versuchen, einen klaren Rahmen und Regeln für den Umgang miteinander zu finden, manische Patienten in ihrer ansteckenden Heiterkeit nicht zu bestärken und im Umgang mit ihnen ruhig zu bleiben. Bezugspersonen dürfen auf keinen Fall auf ihre übersteigerte Selbsteinschätzung und ihre Wahnideen, also realitätsfernen Vorstellungen eingehen. Durch anzügliche Bemerkungen und derbe Witzeleien oder sexuelle Anzüglichkeiten sollten Sie sich nicht gekränkt fühlen - diese sind krankheitsbedingt. Manisch Kranke verstossen auch gegen Normen, die ihnen sonst sehr bedeutend sind.
Die Mehrzahl der akuten Manien müssen stationär behandelt werden. Insbesondere wenn die Betroffenen keinerlei Krankheits- oder Behandlungseinsicht haben, ist eine Einweisung ins Krankenhaus nach dem Betreuungs- und Unterbringungsgesetz häufig nicht zu umgehen.
Wichtig ist auch der Schutz des Betroffenen und seiner Angehörigen vor unsinnigen Geldausgaben. Telefonate sollten beschränkt oder kontrolliert werden, damit sich die Patienten weder durch hohe Telefongebühren noch durch telefonische Bestellungen ruinieren. Maniker sind zeitweilig geschäftsunfähig. Es muss jedoch gut dokumentiert sein, z.B. im Krankenblatt, dass er unter dieser Störung leidet. So hat der Betroffene gute Chancen, in der Manie abgeschlossene unsinnige Geschäfte vor Gericht rückgängig zu machen.
Nach der Akutphase leiden die Patienten häufig unter Schuldgefühlen, bei deren Bewältigung man durch Krankheitsaufklärung und Verständnis helfen kann. Jetzt ist evtl. auch eine unterstüzende Psychotherapie möglich.
Quelle
Burn Out Syndrom
Wörtlich übersetzt "ausgebrannt", ist ein Zustand der inneren Leere, der seelischen Verausgabung, ein Infarkt der Seele bei der Betroffene nicht nur ihre wiederaufladbaren Energien abgegeben haben, sondern in ihrer Substanz angegriffen und geschädigt sind. Körperliche Krankheitszeichen gehören dazu, denn bekanntermaßen bilden Körper, Seele und Geist eine unzertrennliche Einheit.
Burn-out ist längst nicht mehr die typische Managerkrankheit der Unternehmer mit ihrer unbelehrbaren Überarbeitung und grausam gegen sich selbst, in dem anhaltenden Zwang, sich täglich neu beweisen zu müssen. Burn-out betrifft ganz besonders Berufssportler wie sich bei dem Nationalspieler Sebastian Deisler (24) zeigt, sondern die Angehörigen der sog. helfenden Berufe wie Krankenschwestern, Lehrer, Ärzte etc. Frauen sind vielleicht sogar noch öfter betroffen als Männer, denn "es immer möglichst allen recht zu machen" und "ja nicht als egoistisch angesehen" zu werden, ist immer noch typisch weiblich. Besonders betroffen sind aber auch die, deren Lebenswerk durch Justitzpfusch oder Mobbing vernichtet wurde und nicht mehr weiter wissen.
Der Weg zum inneren Ausbrennen
Eine genaue Erhebung der Lebensgeschichte zeigt auch der Autor in seinem Buch mit dem Titel „Schade, dass ich das Abhauen nicht erfunden habe“. Hier sind es oft hochbegabte und engagierte Menschen, die sich in ihrem Beruf mit hoher Intensität engagierten. Berufliche Interessen wurden vor das Privatleben gestellt. Beziehungen oder Ehen leiden darunter oder brechen auseinander. Arbeit ist das Wichtigste im Leben der Betroffenen. Auf berufliche Rückschläge und Misserfolge reagieren sie empfindlich und arbeiten noch mehr.
Burn-out-Symptome
Typisch ist folgende Beschreibung des inneren Zustandes:
Burn Out Syndrom - In den medizinischen Lehrbüchern sucht man diesen Krankheitsbegriff leider meist noch vergebens. Als Betroffener hat die Autor K.-P. Kolbatz in seinem Buch mit dem Titel „Entmündigt und geplündert“ seine Leidensgeschichte aufgeschrieben. Das Buch eignet sich hervorragend als exemplarisches Fallbeispiel für alle die an dem Burn-out-Syndrom mit allen Begleiterscheinungen leiden.
- "Ich kann nicht mehr.
- Ich bin schon beim Aufstehen erschöpft.
- Die Arbeit nimmt kein Ende - so sehr ich mich anstrenge alles zu schaffen - ich werde nie fertig.
- Was mir früher einmal Spaß gemacht hat, ist mir heute nur noch zu viel.
- Selbst, wenn ich einmal Zeit habe, fühle ich mich gehetzt.
- Was hat das alles überhaupt noch für einen Sinn?
Von außen betrachtet, wirken Betroffene reizbar, deprimiert, unzufrieden.
Auf der körperlichen Ebene treten vielfach Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, schmerzhafte Muskelverspannungen im Nacken und Rücken, Verdauungsstörungen, gehäufte Infekte, Atembeschwerden, Kreislaufstörungen oder plötzliche Gewichtsschwankungen auf.
Ursachen
Ein Burn-out-Syndrom lässt sich nicht auf eine einzige Ursache zurückführen und entsteht immer über einen längeren Zeitraum. Ausschlaggebend ist besonders das Persönlichkeitsprofil des betroffenen Menschen und eine Vielzahl von Aufgaben. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese real an den Erkrankten herangetragen wurden (z.B. bei Unternehmer, den täglichen Kampf zum überleben und besser zu ein als die Konkurrenz) oder es sich um selbst übernommene Verantwortlichkeiten handelt - etwa in der Vorstellung "das kann ich sowieso am besten". "Lass nur, ich mach das besser eben selber."
Verlauf verschiedener Phasen
Anfangs bestimmen Enthusiasmus und Ideenreichtum, hohe Erwartungen und Selbstbestätigung durch Leistung das Bild. Man "brennt" für seine Sache.
Nach dem Abklingen der ersten Begeisterungswoge wächst die Erkenntnis, nicht alles so bewirken zu können, wie man es wollte. Der persönliche Einsatz wird noch verstärkt und die eigenen Bedürfnisse vernachlässigt. Eine überhörte Stagnation tritt ein.
Frustration kommt auf. Der Betroffene erlebt Machtlosigkeit, sein anvisiertes Aufgabengebiet für seine Wahrnehmung selbst mit vermehrtem Einsatz bewältigen zu können.
Es wird ein Tunnelblick eingeschaltet: nichts scheint den Gefährdeten mehr wirklich zu interessieren als die Aufgabenstellung. Er nimmt an geselligen Treffen oder anderen Ereignissen des Lebens nur noch durch rein physische Anwesenheit teil, beteiligt sich aber innerlich nicht mehr wirklich daran. "Ich komme mir vor wie eine Maschine, die nur noch funktioniert."
Rückzug:
- Der Betroffene geht seinen Hobbies nicht mehr nach. Er kapselt sich in sich ab. "Alles geht mir nur noch auf die Nerven".
- Als kurzfristige Hilfe werden Ersatzbefriedigungen gewählt wie viel zu Rauchen, Kaffeezutrinken, Süßes zu essen, Sex oder Drogen zu konsumieren, damit "man doch noch etwas vom Leben hat".
- Hoffnungslosigkeit und Apathie. Das Gefühl der inneren Leere wird schmerzhaft und unerträglich. Vereinsamung und "wie abgestorben zu sein" sind vorherrschende Gefühle.
- Depression macht sich breit. Man möchte am liebsten fliehen und nichts mehr spüren. Der Wunsch nach Dauerschlaf ist typisch. Nächtelanges grübeln verhindert den gesunden REM-Schlaf. Verzweiflung und Selbsthass werden extrem. Es kann zu Selbstmordgedanken kommen oder körperlicher Verwahrlosung.
All diese Stadien werden nicht zwangsläufig bis zum bitteren Ende und auch nicht immer in genau dieser Reihenfolge durchlaufen.
Körperliche Beschwerden bestehen jeweils parallel zu den geschilderten psychischen Beeinträchtigungen. Eigentlich von keinem organischen Befund gestützt, obgleich meist schon viele Spezialisten konsultiert worden sind, lauten die Diagnosen dann etwa "nervöser Erschöpfungszustand", "depressive Verstimmung", "unklares Müdigkeitssyndrom" usw.
Welche Maßnahmen helfen gegen das Burn-out-Syndrom?
- Erst einmal den Körperbedürfnissen Rechnung tragen, ausreichend schlafen, gesund essen und sich Zeit fürs Essen, für Körperpflege gönnen, vielleicht auch mal wieder mehr Zeit für Bewegung nehmen.
- Regelmäßig am Tag kleinere Pausen einlegen, jede Woche größere Pausen ohne Anstrengung fest einplanen, Urlaub machen ohne erneuten Freizeitstress.
- "Nein"-Sagen lernen ohne Schuldgefühle.
- Anderen Arbeit und Aufgaben delegieren, auch wenn diese "das nur halb so gut machen" wie man selbst.
- Nicht alles perfekt machen müssen, nur "einfach eben so erledigt", auch mit Fehlern, reicht öfter aus, als man denkt.
- Seiner eigenen Person selbst Wertschätzung entgegenbringen, nicht nur Anerkennung durch andere suchen.
- Gezielte Entspannungstechniken lernen, z.B. Yoga oder Autogenes Training.
- Mit einem Arzt gezielt über dieses Problem sprechen, sich in fachliche psychotherapeutische Behandlung trauen.
Burn-out kann jeden betreffen und ein bisschen Burn-out steckt wohl in fast allen tätigen Menschen.
Manchmal hilft es schon, sich vorzustellen, was eine gute Mutter einem in solchen oder ähnlichen Krisen wohl raten würden. Erfolge sind für die betroffenen lebenswichtig und tragen zur Gesundung bei.
Quelle: Autor, Klaus-Peter Kolbatz und Auszug von Dr. Mechthild Hammersen
Referenzwerk:
„Entmündigt und geplündert“
284 Seiten, 35,90 EURO
ISBN: 3831137498
Autor/Anschrift:
Klaus-Peter Kolbatz
Titiseestr. 27
D-13469 Berlin