AD(H)S Spektrum und Medikamentöse Therapie

Bei grossem Leidensdruck, vor allem, wenn es durch AD(H)S-Symptome zu einer akuten Krise kommt, kann die medikamentöse Therapie mit Stimulanzien zur raschen Verbesserung der Gesamtsituation und somit zur Stabilisierung notwendig sein. Für viele Betroffene ist die Medikation nach der Diagnose zunächst die Grundlage, um überhaupt von weiteren Therapieangeboten profitieren zu können. Bei deutlicher Beeinträchtigung durch AD(H)S und ausgeprägten Schwierigkeiten im Leistungs-, sowie im psychosozialen Bereich ist eine zeitweise medikamentöse Therapie häufig auch angezeigt.

 

Eingesetzt werden vor allem Stimulanzien mit dem Wirkstoff Methylphenidat. Ritalin ist der Name des bekannten Präparates mit dem Wirkstoff Methylphenidat, der bei der medikamentösen Therapie von AD(H)S häufig eingesetzt wird. Andere bekannte Präparate mit dem gleichen Wirkstoff sind Medikinet, Concerta und Equasym. Entgegen der weit verbreiteten Annahme ist Methylphenidat kein Beruhigungsmittel, sondern ein zentralnervöses Stimulans, also ein Aufputschmittel. Auf Menschen mit AD(H)S wirkt Methylphenidat jedoch klärend, konzentrationsfördernd und verbessert die Selbststeuerung. Viele Vorbehalte gegen den Einsatz von Methylphenidat werden dem Umstand, dass Ritalin –  bei richtiger Diagnose und korrekter Anwendung – ein sehr wirksames Medikament mit wenig Risiken ist, nicht gerecht.

Auch für viele Vorschulkinder ergibt sich bereits ein Behandlungsbedarf. Hier haben Frühförderung, heilpädagogische Maßnahmen und Ergotherapie durchaus ihren Stellenwert. Aber auch eine medikamentöse Therapie ist in manchen Fällen notwendig, um zunehmende Entwicklungsverzögerung, Sekundärstörungen und Ausgrenzung zu verhindern. Gerade in ungünstigem sozialem Umfeld haben diese Kinder ein hohes Risiko für emotionale und körperliche Misshandlungen. Oft sind Massnahmen wie Logopädie oder Ergotherapie erst bei medikamentöser Therapie der Kinder erfolgreich.

Wirkungen

 

  • Deutlich bessere Aufmerksamkeit, Selbststeuerung, Ausdauer, Konzentration
  • Besseres Zuhören können und sinnvolles Umsetzen des Gehörten Verständnis für Logik, Zusammenhänge und Ermahnungen, Einsicht Bessere Schrift und Rechtschreibung, weniger Flüchtigkeitsfehler
  • Bessere Körperkoordination, Wahrnehmung und Ausführung von Mimik, Gestik und Körpersprache
  • Weniger Reden und Geräusche machen
  • Bessere Motivation, Leistung zu erbringen, Dinge zu Ende zu bringen
  • Spaß an Arbeit und Leistung
  • Wirkungen gleich bei Methylphenidat und DL-Amphetamin; bei Methylphenidat früherer Wirkungseintritt, kürzere Wirkdauer und etwa 1/3 höhere Dosis nötig als bei DL-Amphetamin. DL-Amphetamin ist daher besonders dort geeignet, wo eine längere Wirkdauer gewünscht wird, wenn früh nur eine Dosis gegeben werden kann (Kindergartenkinder oder bei solchen Schulkindern, bei denen die Gabe einer eventuell nötigen 2. Dosis am Vormittag nicht durchführbar ist).
  • Psychostimulantien wirken dopaminagonistisch.
  • In der Literatur wird angegeben, dass 70-85% der ADHS-Patienten auf die Stimulantientherapie ansprechen.

Nebenwirkungen
In abnehmender Häufigkeit:

 

  • Appetitmangel
  • Schlafstörungen (verschwinden z.T. unter niedriger abendlicher Stimulantiengabe)
  • Dysphorie, Weinerlichkeit
  • Kopfschmerzen
  • Bauchschmerzen
  • Schwindel
  • Reboundhyperaktivität bei Nachlassen der Wirkung
  • Auslösung oder Verschlechterung bestehender Tic-Störung
  • (fast immer vorübergehend, manchmal Aufhören der Tics unter Stimulantienbehandlung, persistierend bei 1%; evtl. zusätzliche Behandlung nötig)
  • Vorübergehende Wachstumsverlangsamung bei normaler Endgröße
  • Dosisabhängige Puls- und Blutdruckerhöhung (bei Kindern extrem selten)

In Langzeitstudien konnten keine negativen psychischen oder somatischen Auswirkungen durch die Therapie mit Psychostimulantien festgestellt werden. Im normalen Dosisbereich (unter 1 mg/kg KG/Tag) treten nur selten - und meist nur zu Beginn der Behandlung - Nebenwirkungen auf. Die meisten Nebenwirkung lassen sich beherrschen durch Verminderung der Dosis, Änderung der Verabreichungszeiten oder Wechsel des Medikamentes. Es gibt sicher keine Suchtentwicklung (körperliche oder psychische Abhängigkeit) unter der Stimulantientherapie. Die Gefahr des Drogenmißbrauchs wird durch Stimulantienbehandlung sogar gemindert. Bei Langzeitbehandlung tritt in üblicher Dosierung keine Toleranzentwicklung ein. Eine antikonvulsive Behandlung ist kein Hindernis für die Stimulantientherapie.

Praktisches Vorgehen bei der Stimulantientherapie
Informationsgespräch mit Eltern und (älteren) Kindern/Jugendlichen über die medikamentöse Therapie:

 

  • Aufklärung über Wirkweise, Nutzen und mögliche Nebenwirkungen (wobei auch über in der Öffentlichkeit kursierende Vorurteile gesprochen werden sollte). Bereitschaft für sofortige Rückfragen bei Unsicherheiten oder Problemen.

Einstellungsphase:
1/2 Tablette Methylphenidat (oder ca. 2/3 dieser Dosis als DL-Amphetaminsaft), im Vorschulalter halbe Dosis, früh 1 Woche lang; dann wöchentliche Steigerung um eine 1/4 bis 1/2 Tablette (bzw. entsprechende Saftmenge) unter Einführung einer Mittagsdosis (im allgemeinen etwas niedriger als die Frühdosis), bis deutliche Wirkung merkbar. - Dies ist ein mögliches Modell für Höhe der Initialdosis und Steigerungsgeschwindigkeit, von dem sich in Literatur und Praxis häufig Abweichungen finden.

 

  • Bei größeren Schulkindern ist 3-malige, manchmal auch häufigere Gabe nötig, abhängig von der individuellen Wirkdauer.
  • Steigerung bis maximal 1mg/kg KG/Tag; wenn dann immer noch keine deutliche Wirkung merkbar, dringend Diagnose überprüfen! In Einzelfällen kann eine höhere Dosis nötig sein oder ein Wechsel auf DL-Amphetamin versucht werden.
  • Rücksprache mit den Eltern jeweils nach 1 Woche (wichtig für Führung und Sicherheit der Eltern, Compliance), Eltern-Tagebuch.
  • Rückfragen der Eltern bei Erziehern in Kindergarten oder Schule nach 2-4 Wochen (die Eltern sollten diese vorher nicht über den Beginn der medikamentösen Behandlung informieren, damit eine unvoreingenommene Bewertung erhalten werden kann; später Information der Erzieher sinnvoll).

Beurteilung des Therapieerfolges:
Ob die Höhe der Dosis, die Wirkdauer und die Frequenz der täglichen Gaben ausreichen, ist danach zu beurteilen, ob genügend lange genügend Wirkung (siehe 4.3.3.) zu beobachten ist. Beurteilt werden sollte dies anhand der Berichte von Eltern und Lehrern/Erziehern – ergänzbar durch Fragebögen zum Verlauf – und Leistungsnachweise wie Zeugnis, zwischenzeitliche Schulnoten, Heftführung, Schrift, eventuell Tests sowie die Verhaltensbeobachtung, wobei auch Videoaufzeichnungen hilfreich sind.

Dauerphase:
Bei konstanter Dosis bleiben; falls doch eine Dosisanpassung nötig erscheint, nur geringfügig (1/4 - 1/2 Tablette) ändern (zuvor evtl. Änderung der Einnahmezeiten – abhängig von der Wirkdauer – versuchen).

 

  • Therapie auch an den Wochenenden und in den Ferien fortsetzen.
  • Keine eigenmächtigen Dosisänderungen durch Eltern oder Lehrer zulassen.
  • Pausen nur, wenn die Eltern meinen, es ginge problemarm auch ohne Medikamente.
  • Intermittierend Gespräche mit Patient und Eltern (Tagebuch), auch mit Erziehern/Lehrer
  • 1/2-jährlich körperliche Untersuchung (auch Gewicht, Länge); Blutuntersuchungen sind im Regelfall nicht nötig, manchmal für die Beruhigung der Eltern und Betreuer nützlich.

Therapiedauer:
So lange Bedarf besteht.

(Quelle: AG-ADHS)

 

Weiterführende Informationen:

  • ADHS Spektrum und Medikamentöse Therapie > Sie befinden sich hier!

 

 

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