TOKOL Übersicht
TOKOL Verein
TOKOLive
TOKOL Service
ADHS und Methylphenidat
ADHS und Methylphenidat (MPH)
Der Wirkstoff findet sich in diversen Medikamenten wieder, wie z.B. RITALIN, MEDIKENET, CONCERTA, EQUASYM oder auch METHYLPHENIDAT HEXAL. Grundsätzlich ist der Wirkstoff immer derselbe, nur die Trägerstoffe sind unterschiedlich. Ritalin und Co. sind im Zusammenhang mit AD(H)S sehr umstritten und finden nicht überall Anklang. Dennoch sollte man das Medikament einmal genauer betrachten.
Ich möchte aber an dieser Stelle nicht die medizinische Erklärung geben sondern aus meiner Sicht erklären, wie Ritalin und Co. bei mir wirken und unter welchen Umständen es zum Einsatz kommen sollte. Um die Wirkweise bildlich darzustellen, müssen Sie sich im Hirninformationsfluss kleine Schiffchen vorstellen, die Informationen als Ladung mit sich tragen, die sie an den dafür vorgesehen Stellen abliefern sollen. Im AD(H)S-Gehirn ist dieser Strom, auf dem diese Schiffchen fahren, so aufgewühlt, dass der Kurs nicht eingehalten werden kann. Die Informationen werden unwillkürlich ausgeliefert, und der Betroffene verliert sich in seinem Gedankenchaos.
METHYLPHENIDAT wirkt bei AD(H)S in der Form, dass es diesen Fluss, auf dem die Schiffchen schwimmen, beruhigt und so der Betroffene die Möglichkeit hat, den Kurs der Schiffe richtig zu lenken, um die Informationen richtig abzulegen. Dadurch ist er organisierter und bekommt seine alltäglichen Probleme besser in den Griff. Er wirkt ruhiger und kann sich besser konzentrieren.
Die Wirkungsdauer von METHYLPHENIDAT liegt zwischen 2 – 3 Stunden und führt nur zu einer vorübergehenden Beruhigung. Also muss man sich das Medikament z. B. als Rollstuhl vorstellen, welcher es dem Betroffenen ermöglicht, für einen gewissen Zeitraum konzentrierter seine Aufgaben machen zu können.
Mein Cousin ist Doktor der Physik und betrachtet das Medikament sehr skeptisch. Er sagt: „Das Zusammenspiel der zahlreichen verschiedenen Neurotransmitter ist hoch komplex. Zumeist findet es in Regelkreisläufen statt, in denen es zu jeder wirkenden Substanz eine oder mehrere andere gibt, die diese Wirkung wieder herabsetzen. Greift man nun von außen an einer einzigen oder einigen wenigen Stellen in einen dieser Regelkreise ein, so sind die Auswirkungen in ihrer Komplexität nicht vollkommen überschaubar. Ein Eingriff von außen über einen längeren Zeitraum führt dazu, dass der Körper seine Regelkreise neu einstellt.“
Als ich mich mit ihm darüber unterhielt, erklärte ich ihm, warum ich RITALIN nehmen würde. Ich bin der Meinung, um sich Strukturen zu schaffen und um Automatismen zu erreichen, ist es von Vorteil, wenn ich das konzentriert mache. Persönlich habe ich es mir zum Ziel gesetzt, Ritalin nicht länger als 2 – 3 Jahre zu nehmen, mich nebenbei zu strukturieren, um mir Automatismen anzueignen, um dann auf das Medikament verzichten zu können.
Ich persönlich halte es nicht für richtig, immer und ständig Ritalin und Co. einzusetzen. Wenn man das Medikament als eine Art von Unterstützung ansieht, ist es O. K., aber eine Dauerdosierung vorzunehmen, halte ich für nicht angebracht, besonders nicht bei Kindern. Verstehen sie mich nicht falsch: Ich bin kein Ritalin-Gegner! Im Gegenteil: Ich nehme es selber, aber manchmal habe ich den Eindruck, dass es von Ärzten und auch gewissen Eltern als das Nonplusultra verstanden wird, auf dem man sich ausruhen könne.
Früher, als Kind und Jugendlicher, war ich Hochleistungssportler. Wenn ich meine Mutter frage, sagt sie, dass ich in dieser Zeit die wenigsten Probleme hatte. Ich war ruhig und gelassen, also ausgepowert.
Ich kenne einige Mütter und Väter, die der Meinung sind: „Bevor mein Kind Ritalin bekommt, nehme ich es selber, um ihm Struktur bieten zu können.“ Grundsätzlich ist das Medikament eine Hilfestellung, das auf keinen Fall als Komplettlösung angesehen werden darf. Begleitend: Ja! Ausschließlich: Nein!
Erfahrungsbericht von Rigani
User im TOKOL Forum
Hallo zusammen !
Ich möchte von einer Erfahrung mit meiner jüngeren Tochter, 7 Jahre alt, jetzt im 1. Schuljahr, berichten.
Im März diesen Jahres war ich mit ihr bei der üblichen schulärztlichen Untersuchung. Ich wusste, dass sie Sprachstörungen hat. Zwei Jahre zuvor war das auch im SPZ (sozial – pädiatrisches Zentrum) diagnostiziert, und eine logopädische Behandlung angeraten worden.
Ich habe es immer verdrängt und damit mein eigentliches Problem, mein ADHS. Bei dieser schulärztlichen Untersuchung erhielt ich die Diagnose der Schulärztin: Bedingt schulfähig, multiple Dyslalie!
Was in aller Welt, dachte ich, ist das? Das werdet ihr Euch auch sicher fragen. Ich also ins Internet. Ich hatte in dieser Zeit aber schon Jochen kennen gelernt, so gerade, aber darüber hatten wir noch nicht gesprochen. Durch Suchen im Internet kam ich auf den Zusammenhang zwischen AD(H)S und Sprachstörungen, aus denen sich oftmals dann natürlich auch LRS usw. entwickeln.
Ich war irgendwie wie vor den Kopf gestoßen, habe mit Jochen gesprochen ( nochmals hier vielen Dank für diesen entscheidenden Anstoß ). Ich war die Ursache. Mir wurde so vieles in so kurzer Zeit klar. Sicher, ich habe verdrängt, aufgeschoben und was jetzt? Sonderschule oder was ? Am gleichen Tag rief ich den Schulleiter an, den ich noch von meiner Älteren kannte und der auch über unsere familiäre Situation Bescheid wusste. Er sprach mit mir einen Termin ab, und gleichzeitig machte ich noch eine logopädische Praxis aus, die mir 2-3 Termine pro Woche zusagte.
Puhhhh, was eine Energie! Ich wollte unbedingt, dass meine Tochter und ich das schaffen.
Carolin musste also auf jeden Fall eingeschult werden, egal wie, aber der Schulleiter sagte, die schafft das, Intensivtraining. Es hat mich sehr viel Kraft gekostet, diese Termine vier Monate wahrzunehmen, natürlich auch meine Tochter genauso. Mich habe ich zurückgestellt, jetzt stehe ich an und lasse mich testen, dass war mir zuerst wichtiger.
HEUTE war Elternsprechtag:
Superschülerin, fast allen überlegen, schnell, nichts zu beanstanden, ich konnte es kaum fassen, es hat sich gelohnt!!!!!!!!!!!!!!!
Übrigens: Die logopädische Behandlung ist bis auf weiteres ausgesetzt, meine Tochter nimmt keine Medis ( heißt nicht, dass die nicht auch nötig sind bei anderen wie mir ), aber ich weiß, wofür ich meine Kraft einsetzte und weiß, was mit ihr ist, das hilft sehr!!!!!! Ich finde es fürchterlich, wenn einerseits gegen Ritalin u.a. gewettert wird (ich gebe meinem Kind Drogen usw.), zum anderen ist auch aus meiner Sicht die Haltung, es geht nur mit Medis und nicht anders, nicht global als richtig anzusehen. In diversen Foren wird das auch so wiedergegeben. Da ich hier neu war, habe ich diesen Halbsatz dazugesetzt, irgendwo hatte ich da schon eine kleine Angst, dass ich jetzt als Verteuflerin von Ritalin erscheine... lach.
Ich selber habe für mich beschlossen, mich testen zu lassen und bin zurzeit der Meinung, dass ich es nicht ohne Medis schaffen werde. Ich habe keine Kraft mehr so, ich habe es so versucht, "klar, man schafft das doch alles als Erwachsener". Was ich geschafft habe, ist das mit meiner Tochter, aber jetzt bin ich erst mal dran, sonst schafft das meine Tochter auch nicht so weiter.
Ich selbst habe in der Familie den Fall eines Neffen, 13 Jahre alt, mit 8 Jahren ADHS diagnostiziert, 3 Monate Klinik, er kann nicht ohne Medis.
Ich finde, es geht auch nicht nur um die Tatsache, ob mit oder ohne Medis, wichtiger ist doch, dass man Wege findet, seine Kraft gezielt einzusetzen, und deshalb finde ich diesen Austausch auch so toll hier. Wir können uns doch gegenseitig helfen.
Ob Medis notwendig sind und wie lange und wann und wie viel, ist meiner Meinung nach auch von der individuellen Situation abhängig und vom familiären Umfeld, und ich hoffe, dass es bald nicht mehr als "Schande " angesehen wird, wenn man zugibt, dass man Medis nimmt ( ich weiß hier ist das keine ).
Liebe Grüße
Rigani
Erfahrungsbericht von Tori
User im TOKOL Forum
So… da ich da gerade selbst so drin stecke, möchte ich mich auch mal äußern…
Mein Sohn (4 Jahre) schien schon als Baby anders, wollte unheimlich viel, vor allem immer in Bewegung sein.
Kein Problem dachte ich mir, zu der Zeit hatte ich auch noch die Ruhe, wegen ihm erst einmal meine Ausbildung auf Eis gelegt, da ich viel Zeit mit ihm verbringen wollte. Und das tat ich auch. Ich weiß nicht, wann ich das erste Mal bemerkte, dass er für Andere zu stressig war… War es vielleicht eine ’’Freundin’’, die sich lieber mit mir allein treffen wollte? Oder waren es die Blicke im Supermarkt, wenn er durch die Gänge fegte und am besten noch alles mit sich riss? Keine Ahnung, wann es anfing, aber ich selbst habe mein Kind eigentlich bis dahin nicht für schwierig gehalten, nur für sehr lebhaft. Fand es sogar gut, da ich selbst so ein „In-die-Ecke-setz-Kind“ gewesen bin, und, wenn ich ehrlich bin, nicht sehr glücklich war damit.
Nun ja, worauf ich hinaus will, je mehr Andere gestresst waren von meinen Sohn, umso stressiger wurde es für mich. Ich hatte das Gefühl, ich müsste ihn verteidigen und mich rechtfertigen… Dann kam eine Zeit, da habe ich mich wirklich sehr infrage gestellt, habe reflektiert und nach der Ursache gesucht. Ich habe mir nun wirklich für alles die Schuld gegeben, wem sollte ich die auch sonst geben, bin schließlich allein erziehend. Ich wusste allerdings nicht genau was, ich falsch gemacht haben sollte, das war das Problem. Da gab es immer wieder Leute, die behaupteten, ich wäre evtl. nicht konsequent genug, aber wenn ich es mir recht überlege, verwechselten die Konsequenz mit einem autoritären Erziehungsstil… Und Sorry, aber den habe ich selbst erfahren dürfen und weiß, dass mich das nicht wirklich weitergebracht hat. Oh ja, was dann auch kam, waren Tipps wie: ,,Dafür hätte der aber von mir schon längst eine bekommen.’’ Super Tipp sag ich da, nur *Daumen hoch*, wie übe ich am besten Gewalt auf mein Kind aus? Oder was?
Nicht, dass diese Tipps völlig spurlos an mir vorüber gegangen wären (nein, habe ihn bestimmt nicht geschlagen, keine Angst). Habe es dann mal so, mal so versucht, weil ich keinen Schimmer hatte, wie ich es denn jetzt machen sollte, und habe damit nur mehr kaputt gemacht als richtig.
Ich hätte von Anfang an dabei bleiben sollen, wie ich es für richtig gehalten habe, denn da bin ich heute letztendlich wieder angelangt. Konsequenz ja, Druck nein! Mein Sohn macht dicht, sobald man lauter wird… Wenn ich einen Fehler gemacht habe, dann war es der, mich verunsichern zu lassen. Oder den, dass ich selbst etwas ADS bin, was natürlich tödlich ist für ein Kind wie meines, da er klare Linien braucht. Jetzt sieht es tatsächlich so aus, dass ich selbst Ritalin nehme, um meinen Sohn diese Geradlinigkeit bieten zu können.
Ich versuche gerade, den Erzieherinnen im KIGA zu erklären, wie sie vorgehen sollen, wenn sie etwas Bestimmtes von ihm möchten. Wenn ich dann höre, dass man ihm ja nicht alles bildlich erklären kann, da man dies später in der Schule auch nicht macht, kriege ich was über mich. Das bedeutet, entweder funktioniert er (hier an dieser Stelle einen lieben Gruß an dich Jochen @ Funktionieren; 0)), oder er fällt durchs Raster.
Wenn ich dann bedenke, dass ich mit ihm zum Doc renne, und der sagt, er würde diagnostiziert und bekommt dann Therapie??? Wie diese Therapie aussehen soll? Ganz einfach, Ritalin heißt die Art von Therapie, die er meint! Ich sagte ihm, dass ich nicht möchte, dass mein Sohn Ritalin bekommt, wenn es nicht unbedingt erforderlich sei. Nicht dafür, damit er möglichst angepasst durch die Gegend rennt. Doc meinte nichts dergleichen. Er meinte, ein Hoch auf Ritalin für Vorschulkinder, damit die sich weiterentwickeln können…
Gestern habe ich den Kleinen dann bei der Ergo vorgestellt. Als Antwort auf ADHS gab dieser: „Kein Problem, da wird ihm Ritalin verschrieben...''
So, und wenn man ein Mensch ist, der sich nur im Geringsten verunsichern lässt, oder sich noch nie damit beschäftigt hat und darauf vertraut, dass es Ärzte gibt, die sich eigentlich besser auskennen sollten???
In etwa so kann ich mir Vorstellen, dass es immer wieder passiert, dass Kindern vorschnell Ritalin verabreicht wird… Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mütter zu diesen Mitteln greifen, wenn ihnen etwas Anderes alternativ geboten würde.
Ich denke nach meiner Erfahrung jetzt in den letzten Tagen, dass es eher die Doc's sind, die sofort mit der Antwort auf alle Fragen: „RITALIN’’ kommen…
Tori
PERSÖNLICHER ERFAHRUNGSBERICHT
Autor: Heidi - User im TOKOL Forum
Der Verdacht, ADS zu haben, kam mir erst mit 42, als bei meinem Sohn die Diagnose gestellt wurde, und ich mich intensiv mit dem Thema auseinander zu setzen begann.
Je mehr ich darüber las, desto mehr Aha-Erlebnisse hatte ich – viele meiner Schwierigkeiten, die ich für Charakterschwäche, Unfähigkeit und Dummheit gehalten hatte, passten zu ADS.
Dabei bin ich wohl eigentlich eher ein „leichter Fall“, habe auch viel Glück und doch allerhand Tricks zum Kompensieren gehabt.
Meine Vergesslichkeit war zu dem Zeitpunkt mein größtes Problem – so schlimm, dass ich Angst hatte, womöglich Alzheimer zu haben und mich schließlich zur Diagnose-Abklärung durchrang.
Ein Beispiel: Ich ließ Wasser ins Spülbecken und schaute dabei aus dem Fenster. Superwetter, da könnte ich doch eben schnell Wäsche ansetzen, die könnte doch schon mal waschen inzwischen. Ich ging also in den Keller, setzte Wäsche an, brachte den Wäschekorb ins Bad zurück. Dann begann ich, im Bad sauber zu machen und aufzuräumen. Ich brachte dabei auch einige Sachen ins Schlafzimmer und machte dort das Bett. Das Telefon klingelte, ich sauste durch die Küche, um ranzugehen –verflixt, das Spülwasser war inzwischen kalt! Außerdem waren weder Bad noch Schlafzimmer fertig, dafür konnte es passieren, dass die Wäsche einige Tage in der Maschine blieb und ich sie noch mal waschen musste.
Viele Probleme hatte ich eigentlich schon immer, aber sie wurden mir immer mehr bewusst, und ich hatte natürlich allerhand Methoden entwickelt, um sie zu kaschieren.
Ich schrieb grundsätzlich -zig Zettel, damit ich nicht dauernd alles vergaß – verlor dann aber die Übersicht darüber oder buddelte sie irgendwo in einem Stapel unter.
Überhaupt galt: aus den Augen, aus dem Sinn: was ich erledigen wollte, musste ich mir regelrecht in den Weg legen, sonst hatte ich keine Chance.
Einkaufen? Nur mit Zettel, aber trotzdem dachte ich oft nicht an alle Dinge, die darauf standen – wenn ich nicht eh gleich den Zettel zu Hause vergaß.
Ich redete dazwischen oder beantwortete Fragen, ehe sie fertig gestellt waren (was besonders meinen Mann nervte), weil ich sonst schon wieder mit den Gedanken ganz woanders war und einfach nicht wehr wusste, was ich sagen wollte.
Mein Zeitgefühl war praktisch nicht vorhanden. Ich schaffte nichts, ohne mich in enormen Zeitdruck zu bringen, denn ich hatte Schwierigkeiten, überhaupt „in Gang“ zu kommen. Wenn ich aber einmal mit etwas angefangen hatte, konnte ich schlecht wieder aufhören, das galt sowohl für ungeliebte Dinge (z.B. im Haushalt), als auch für angenehme (z.B. lesen). Sollte ich wider Erwarten einmal so früh mit etwas angefangen haben, dass ich sogar zu früh fertig war, fiel mir bestimmt irgendetwas ein, das ich „noch eben schnell“ erledigen könnte – und schon kam ich wieder in Druck.
Wenn ich las, verschlang ich die Bücher regelrecht, aber hinterher wusste ich oft gar nicht mehr, worum es eigentlich ging. Filme konnte ich ruhig mehrmals anschauen, sie waren immer spannend, da ich mich nie ans Ende erinnern konnte (den Anfang von Filmen im TV verpasste ich sowieso grundsätzlich). Ich versuchte, mir Listen zu machen, was ich zu tun hätte.
Ich war aber häufig unfähig, diese in einer vernünftigen Reihenfolge abzuarbeiten und begann mit völlig unwichtigen Sachen, die wichtigen blieben übrig.
In Gruppen und in Restaurants hatte ich oft Schwierigkeiten, dem Gespräch zu folgen, da ich die anderen Gespräche um mich herum ebenso mithörte. Wenn dann das andere Thema interessant war, hätte ich mich gern daran beteiligt. Aus Erfahrung wusste ich jedoch, dass so was bei den eigentlichen Gesprächspartnern nicht gut ankam.
Trotzdem konnte ich mich oft nicht richtig auf ein Gespräch konzentrieren und war daher der ideale Geheimnisträger - ich bekam vieles gar nicht erst mit oder vergaß es schnell wieder. Oft redete oder handelte ich ohne zu denken, was auch dazu führte, in so ziemlich jedes Fettnäpfchen zu treten.
Oder ich hatte gerade wieder eine schlechte Erfahrung damit gemacht und grübelte so lange rum, bis sich das Handeln oder Reden erübrigt hatte. Obwohl ich Freunde und Bekannte hatte, fühlte ich mich oft nicht recht dazugehörig und dachte, den anderen lästig zu sein.
Ich bekam manchmal gar nichts mit, was andere Menschen betraf, oder ich „las zwischen den Zeilen“ – leider sogar Dinge, die dort gar nicht standen. Mein Gerechtigkeitssinn war dermaßen stark, dass man ihn eigentlich schon als „Gerechtigkeitsfimmel“ bezeichnen müsste – selbst Robin Hood hätte dagegen blass ausgesehen.
Wenn ich mich für eine Sache interessierte, warf ich mich regelrecht darauf und machte dann alle anderen wuschig, weil ich sie regelrecht missionieren wollte und dauernd über das betreffende Thema redete. Ich war ein „Kümmerer“ und steckte mich auch ungebeten in alle möglichen Sachen rein, was mir im Nachhinein oft peinlich war.
Kritik nahm ich sehr persönlich und hatte insgesamt ein ziemlich schlechtes Selbstwertgefühl.
Dann bekam ich die ADS-Diagnose und seitdem auch Methylphenidat, inzwischen seit 4 Jahren. Beides änderte eine Menge in meinem Lebensgefühl und meinem Leben.
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich vor Weihnachten nicht die Angst, dass jeden Moment das Chaos über mir zusammenbrechen würde!
Allerdings wurde mir auch manche meiner Macken erst richtig bewusst. Ich dachte, nun wollte ich mein Leben umkrempeln, mich endlich ändern und so werden wie alle anderen.
Mit MPH habe ich das Gefühl, dass ich mich und andere irgendwie besser, klarer wahrnehmen kann. Ich bin in der Lage, meine Gedanken besser zu sortieren und Dinge, die ich mir vorgenommen habe, auch wirklich auszuführen (zumindest entschieden besser). Ich kann mich besser steuern, muss anderen nicht mehr unbedingt ins Wort fallen.
Meine Konzentration ist unter MPH viel besser und ich kann mich auf ein Gespräch einlassen, ohne die anderen Gespräche rundum zwanghaft mitzuverfolgen.
Positiver Nebeneffekt davon ist, dass ich inzwischen in weniger Fettnäpfchen trete. Insgesamt bin ich seit MPH überhaupt erst in der Lage, an mir selber zu arbeiten.
Es gab auch eine Selbsthilfegruppe in der nächsten Stadt, an der ich teilnahm. Zwar ging es überwiegend um die Probleme mit ADS-Kindern, aber das kam mir für meinen Sohn und auch für mich zugute.
Nach gut zwei Jahren merkte ich jedoch, dass ich nicht mehr weiterkam, beantragte eine begleitende Therapie und bekam 40 Stunden bewilligt. Leider gibt es hier in der Gegend keine Therapeuten, die sich mit ADS bei Erwachsenen auskennen und von der Krankenkasse bezahlt werden, aber das war nun mal so.
Im Verlauf der Therapie stellte sich auch heraus, dass ich zusätzlich eine Depression habe. Es hat lange gedauert, bis ich mir das eingestehen und letztendlich auch eine zusätzliche Medikation akzeptieren konnte. Allerdings wurde mir durch die Therapie und durch intensive „Gespräche“ in Chats mit anderen ADSlern auch klar, dass ich gar nicht wirklich alles an mir ändern will.
Ich möchte z.B. meine Spontaneität keinesfalls missen, auch wenn daraus manchmal Probleme entstehen. Ich werfe mich in interessante Themen nach wie vor hinein, aber auch das möchte ich beibehalten.
Ebenso wie ich inzwischen als Gabe zu schätzen gelernt habe, dass ich mich gut in andere hineinversetzen kann und gerne Menschen helfe. Ich weiß, dass mich das manchmal immer noch in Schwierigkeiten bringt, aber nehme das bewusst in Kauf und habe zum Beispiel inzwischen die ADS- Selbsthilfegruppe übernommen.
ADS ist inzwischen zu einem Bestandteil meines Lebens geworden, den ich durch MPH lerne besser in den Griff zu bekommen.
Und immerhin hat es mir viele interessante, virtuelle und reale Begegnungen ermöglicht, und ich habe dadurch sogar eine wirklich gute „beste Freundin“ gefunden.